Eine taufrische Online-Marketing-Agentur braucht man ohne Spezialisierung oder viel Geld im Rücken heute gar nicht erst starten – die Konkurrenz ist groß. Fast niemand geht heute noch ohne Steckenpferd auf den Markt, das ihn von anderen unterscheidet.

Der eine spezialisiert sich auf Online-Shops, der andere auf SEO für Ärzte, der dritte schreibt sich Inbound-Marketing auf die Fahnen. Wer aber die großen Accounts betreuen will, muss auch immer öfter Leistungen entwickeln und anbieten, die eigentlich nicht zum Kerngeschäft gehören – oder? Wir fragen bei zwei Agenturen nach.

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Sepita Ansari

Wir haben mit zwei Online-Marketing-Agenturen gesprochen, die in den goldenen Zeiten der SEO-Branche groß geworden sind: Sepita Ansari hat seine Agentur Catbird Seat in den vergangenen Jahren kräftig wachsen sehen.

Zu viert gegründet 2009, arbeiten heute in München und Berlin mehr als 50 Köpfe. Neben neuen Kunden bereichern auch immer neue Digital-Marketing-Leistungen das Portfolio.

Florian Ries

Florian Ries, Head of Offpage bei seo2b, hat die wachsenden Dimensionen in der SEO-Branche auch miterlebt. In den vergangenen Jahren ist die Agentur zu einer der größten ihrer Art geworden – denn sie bleibt fast ausschließlich auf SEO spezialisiert. Mehr als 30 Mitarbeiter sitzen in Trier und pushen ihre Kunden in den SERP.

Als Agenturen stehen beide Unternehmen aber vor den selben Aufgaben: Nicht zum Bauchladenhändler werden und trotzdem weiter wachsen. Im Interview plaudern Sepita und Florian aus dem Nähkästchen. 

Neue Leistungen dazunehmen, ja oder nein?

Agenturen stoßen an ihre Wachstumsgrenze, wenn der Markt für ihre Leistung übersättigt ist. Bei SEO ist das so: Wer heute eine SEO-Agentur in München aufziehen will, muss sich mit Hinz und Kunz vergleichen lassen, um die ersten Aufträge betteln oder Glück haben – oder man hat ein erstklassiges Netzwerk für laufende Empfehlungen.

Wer es einmal zu einer gewissen Größe geschafft hat, wächst oft mit den Anforderungen seiner Kunden auch in die Breite. Bei Catbird Seat zum Beispiel ging die Entwicklung von der reinen SEO-Agentur hin zum ganzheitlichen Online Marketing-Dienstleister, erklärt Ansari.

Über die Jahre haben sich die Bedürfnisse unserer Kunden stark verändert, vor allem durch die Digitalisierung in allen Lebensbereichen. So kamen wir immer wieder zu neuen Leistungen in unserem Portfolio. Ein Beispiel: Content-Marketing und Media-Relations haben wir Anfangs für ein sicheres Link-Earning gebraucht. Heute machen wir Content-Marketing, um entlang der Customer-Journey eine höhere Relevanz für den Nutzer zu schaffen. Links sind nur noch ein Effekt von Marketing mit Inhalten. Sie können aber nicht das Ziel von Content-Marketing sein.

Bei seo2b beschäftigt man sich währenddessen vor allem mit den klassischen Fragen des SEO-Universums, sagt Ries:

„Wir optimieren vor allem den Bereich Content-Produktion, gerade weil die Ansprüche im Linkbuilding gestiegen sind. Deswegen hat hier seo2b seinen größten Wandel vollzogen: Unsere Redaktion macht inzwischen das halbe Unternehmen aus. Von den insgesamt 30 Kollegen sind mittlerweile 15 Redakteure." 

Bedeutet ein wachsender Kundenstamm immer einen größeren Bauchladen?

„Bei Catbird Seat sind zur Suchmaschinenoptimierung im Laufe der Zeit weitere Agenturleistungen dazugekommen. Das Thema Performance-Marketing und PPC spielen heute eine große Rolle bei uns, das wir durch die Expertise meines Geschäftspartners Matthias Weth aufgebaut haben, der heute zusammen mit mir die Agentur leitet. Analytics ist außerdem unerlässlich geworden, um die Effektivität aller Online-Marketing-Kampagnen zu messen. Also haben wir eine Unit nur für Conversion Rate Optimierung aufgebaut."

Bei seo2b nimmt man neue Leistungsbausteine dagegen etwas vorsichtiger mit auf. Neue Ansprüche beim Kunden ändern nichts an der reinen SEO-Positionierung von seo2b. Neue Leistungen ergänzen das Portfolio nur in Ausnahmenfällen, erklärt Ries:

„Wir empfehlen lieber einen spezialisierten Dienstleister, wenn Kunden Leistungen nachfragen, die nicht zu unserem eng definierten Portfolio gehören. Es macht für uns keinen Sinn, Leistungen anzubieten, deren Erfolgsaussicht wir nicht genau einschätzen können. Wir haben viele langjährige Kunden, mit denen wir neue Teil-Dienstleistungen testen können. Wenn sich dann eine Leistung bewährt, überlegen wir, sie in unser Portfolio mit aufzunehmen. Davor machen wir das aber prinzipiell nicht. Wir kaufen auch keine Leistung zu, um sie dann dem Kunden weiter zu verkaufen. Alles, was wir unseren Kunden anbieten, setzen wir Inhouse um."

Während seo2b auf sein „360-Grad-SEO“ stolz ist, spricht Ansari bei Catbird Seat von „Digital-“ und „Online-“ und vor allem „Performance Marketing“:

Programmatic-Advertising war und ist zum Beispiel einer der Trends in 2015 und 2016, das wir dann auch für unsere Kunden aufgezogen haben. Online-Marketing ist ein wahnsinnig spannendes Feld, aber auch eine Disziplin, die sich rasant wandelt und für uns und unsere Kunden ständig neue Herausforderungen schafft."

Der Catbird-Seat-Chef ergänzt:

„Unser Serviceangebot wächst, weil Online-Marketing immer komplexer wird. Im gleichen Ausmaß, wie sich das Mediennutzungsverhalten der Nutzer weiter entwickelt und verzweigt, vernetzen sich Kanäle, Geräte und Informationen zunehmend. Gerade in den Bereichen SEO, SEA, Programmatic Buying und Content-Marketing ist mittlerweile hochspezialisiertes Know-how gefragt. Deswegen haben wir auch immer hochspezialisierte Mitarbeiter. Die Anforderungen unserer Kunden an das Online Marketing haben sich extrem gesteigert: Als Agentur müssen wir diese Anforderungen der Kunden abdecken oder mit anderen Dienstleistern kooperieren.

Im Digital Marketing sind mehr denn je ganzheitliche Ansätze für die Kunden gefragt. Wir müssen die Beratung und Dienstleistung in einem performanceorientierten Konzept bündeln und in vielen verschiedenen Bereichen laufend besser werden. Ob Konzeption, Strategie oder Umsetzung in einem optimalen Projektmanagement."

Ries verfolgt bei seo2b einen anderen Ansatz:

Wir sind da eher bodenständig und bleiben bei unseren Leisten – wollen aber auch nicht um jeden Preis und unbegrenzt wachsen.

seo2b überlässt die restliche Klaviatur des Online-Marketings ganz seinen Kunden.

Wir haben zwar gute Kontakte zu anderen Dienstleistern, aber keine festen Partnerschaften. Unsere Kunden suchen sich in diesen Fällen selbst Dienstleister oder wir sprechen Empfehlungen aus.

Leistung zukaufen oder selber umsetzen?

„Wir haben uns für die Spezialisierung im digitalen Marketing entschieden. Gleichzeitig aber haben wir ein Netzwerk an verschiedenen spezialisierten Dienstleistern aufgebaut, mit denen wir gute Erfahrungen gesammelt haben“, sagt Ansari. Leistung zukaufen kommt bei seo2b nur in Ausnahmen infrage: „Wir holen uns wenig Leistung von außen und versuchen, alles inhouse abzubilden. Das ist der Vorteil, wenn man hoch spezialisiert ist. Nur in Ausnahmefällen kaufen wir Leistung ein, um flexibel zu bleiben. Zum Beispiel, wenn unsere Redaktion stark ausgelastet ist“, so Ries.

SEO ist und bleibt dabei einer der wichtigsten Parts im Online-Marketing, findet auch Ansari:

„Wir decken alle SEO-Leistungen ab, wie auch jeder andere SEO-Dienstleister, mit spezialisierten Mitarbeitern und Fachkenntnissen. Für Kunden, die auch Kompetenz in den weiteren Kanälen benötigen, ist es entsprechend von Vorteil, dass wir ein größeres Serviceangebot rund um die Suchmaschinenoptimierung anbieten können."

Bei Ries sieht es anders aus:

„Wir decken wirklich nur Suchmaschinenoptimierung ab, und das ganzheitlich, nicht nur einen Teilbereich wie Linkbuilding. Wir haben für alle Bereiche eigene Abteilungen. Die größte ist unsere Redaktion. Die Onpage-Abteilung übernimmt vor allem Monitoring und Consulting-Aufgaben. Daneben haben wir eine Offpage-Abteilung, die sich vor allem mit der Redaktion abstimmt. Unsere Projektmanager kümmern sich um das Seeding für die Inhalte aus der Redaktion. Eine weitere Abteilung ist für die Qualitätssicherung verantwortlich. Hier wird alles, was Redaktion und Offpage-Bereich produzieren, nach dem Vier-Augen-Prinzip überprüft. 

Für einige wenige Kunden managen wir auch Adwords-Kampagnen, das sind aber eher Ausnahmen. Ein wichtiges Thema in Zukunft werden Social-Signals sein. Auch wenn sie momentan kein Ranking-Faktor sind, liefern sie eine wichtige Kennzahl: Man sieht an den sozialen Signalen, wie gut Inhalte konvertieren. Aber das heißt noch lange nicht, dass wir deswegen gleich Kompetenzen für Social Media aufbauen."

Fazit: Für Digital-Agenturen führt kein Weg an Spezialisierung vorbei

Spezialist werden oder Full-Service anbieten: Beides kann im Online-Marketing funktionieren, aber nicht mehr aus dem Stand. Ein erfolgreicher Einstieg ohne Spezialisierung scheint heute unwahrscheinlich, und auch die größeren Dienstleister müssen genau abwägen, welche zusätzlichen Leistungen sie mit anbieten – und wann sie Kunden am Dritte weiterempfehlen. 

Am Ende kommt es aber auch drauf an, wie man sich verkauft und was man verkaufen will. Auch Catbird Seat versteht sich als Spezialist, hat aber ein gewachsenes Digital-Marketing-Serviceangebot, während seo2b weiterhin nur reines SEO leisten und damit bei Kunden Punkte sammeln möchte. 

Fachexpertise auf hohem Niveau zu halten, ist dabei in den vielen verschiedenen und noch immer neu entstehenden Online-Marketing-Disziplinen immer schwerer. Die Bereiche verschmelzen miteinander und werden gleichzeitig komplexer; denn die Kunden der Kunden verändern sich rasant, nutzen immer mehr Geräte und Medien immer anders. Die gute Nachricht dabei: Wer heute als Agentur ein breiteres Servicespektrum hat und dabei bleibt, könnte damit übermorgen schon als Spezialist durchgehen.

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Dieser Artikel erschien erstmals im Juli 2016. Wir haben ihn aktualisiert und zur besseren Verständlichkeit überarbeitet.

Ursprünglich veröffentlicht am 18. Januar 2017, aktualisiert am Januar 18 2023

Themen:

Agenturarbeit