Warum sind manche Start-up-Gründer und -Gründerinnen so erfolgreich, obwohl sogar mehrere Experten ihr Scheitern vorhersagten? Dafür gibt es viele Gründe. Ein Grund liegt darin, dass junge Entrepreneure und Entrepreneurinnen ganz anders als erfahrene Businessleute agieren. Sie handeln nach der sogenannten Effectuation.
Was ist Effectuation?
Wenn die Zeiten unsicher sind und sich auch nur schwer Prognosen über die Zukunft treffen lassen, hilft der Effectuation-Ansatz. Das ist eine Art zu handeln, indem man sich auf seine beschränkten Mittel und den leistbaren Einsatz fokussiert, um damit zukünftige Ereignisse eintreten zu lassen. Diese Art des Denkens und Agierens ist oft bei Start-up-Gründenden zu finden.
Woher kommt der Effectuation-Ansatz?
Effectuation ist keine Methode, die gezielt entwickelt wurde. Stattdessen fand Saras D. Sarasvathy, heute Business-Professorin, im Rahmen ihrer Promotion heraus, dass viele Gründerinnen und Gründer gleich agieren und dabei keinem bekannten Framework folgen. Stattdessen folgen sie einer unbewussten Logik, die Sarasvathy als Effectuation bezeichnete.
Der Begriff „Effectuation” leitet sich vom Englischen „to effect something” (zu Deutsch: etwas herbeiführen) ab. Denn die Testpersonen versuchten alle mit gewissen Mitteln, das Ausgehen ihrer Unternehmung und damit in gewisser Weise die Zukunft aktiv zu beeinflussen.
Warum? Start-up-Unternehmer und -Unternehmerinnen haben nicht die Ressourcen, um Marktstudien zu beauftragen. Zumal ihre Produkte oft so innovativ und neu sind, dass sie nicht mit anderen vergleichbar sind.
Das bedeutet, Entrepreneure und Entrepreneurinnen gehen wagemutig die Ungewissheit an, anstatt alle Tätigkeiten bis ins Detail zu analysieren. Damit funktioniert ihre Logik anders als die von etablierten Unternehmen, die zuerst Marktanalysen betreiben und Prognosen erarbeiten, bevor sie handeln.
Was sind die 5 Effectuation-Prinzipien?
Sarasvathy stellte bei Ihrer Arbeit fünf Prinzipien fest, nach denen die beobachteten Entrepreneure agierten. Im Englischen sind diese Effectuation-Prinzipien als „Bird-in-Hand”, „Affordable Loss”, „Crazy-Quilt”, „Lemonade” und „Pilot-in-the-Plane” bekannt.
In der deutschen Literatur haben sich dagegen vier Effectuation-Prinzipien etabliert. Sie heißen „Mittelorientierung”, „Leistbarer Verlust”, „Partnerschaften” und „Umstände und Zufälle nutzen”.
Damit gemeint sind folgende Denk- und Handlungsweisen:
Mittelorientierung
Viele Gründende wissen, dass sie gewisse Mittel, um ein Ziel zu erreichen, sehr spät oder nie haben werden. Deshalb beschäftigen Sie sich nicht lange mit dem Verfolgen von viel zu hoch gesetzten Zielen. Stattdessen orientieren sie sich an ihren vorhandenen Mitteln und schauen, was sie damit umsetzen können.
Dafür gilt es, eine Art Inventur der Mittel zu machen. Dazu gehören nicht nur materielle Güter, sondern auch persönliche Kompetenzen. „Was kann ich? Was können meine Mitarbeitenden? Welche nützlichen Kontakte habe ich?” Solche Fragen stellen sich Unternehmende, die nach dem Effectuation-Ansatz vorgehen. Sie nehmen sinnbildlich den Spatz in der Hand („Bird-in-the-Hand”) anstatt die Taube auf dem Dach.
Leistbarer Verlust
Eine häufige Annahme ist, dass Entrepreneure und Entrepreneurinnen so mutig sind, dass sie alles riskieren, um erfolgreich zu sein. Das stimmt als pauschale Aussage nicht, so die Erkenntnis von Sarasvathy. Vielmehr gehen Gründer und Gründerinnen, die dem Effectuation-Ansatz folgen, eher bedacht nach dem „Affordable Loss”-Prinzip vor.
Der „leistbare Verlust”, so die deutsche Übersetzung, ist die Minimierung des Risikos: Entrepreneure und Entrepreneurinnen wagen nur so viel, wie sie sich leisten können. Sie legen eben nicht ihr gesamtes Hab und Gut in die Waagschale, sondern nur so viel, dass sie nach einem gescheiterten Start-up-Vorhaben nicht komplett ruiniert sind. Das heißt, die Business-Neulinge rennen nicht, wie teilweise angenommen, leichtfertig in die Ungewissheit.
Partnerschaften
Etablierte Unternehmen sind in der Regel darauf bedacht, ihre geschäftlichen Kontakte weise auszusuchen. Sie gehen vorsichtig und zurückhaltend vor, Ideen geben sie nur ungern preis. Anders dagegen agieren Effectuation-Unternehmende: Sie reden früh und offen über ihre Ideen und Konzepte. So öffnen sich schneller neue Türen und es entstehen nützliche Partnerschaften.
Bei Effectuation-Partnerschaften stehen auch nicht die angestrebten Unternehmensziele im Fokus. Stattdessen geht es hier darum, mit den jeweiligen Mitteln voranzukommen und zu schauen, was sich daraus ergeben kann. Die Kooperierenden handeln dementsprechend ergebnisoffen.
Umstände und Zufall nutzen
Passend zum letzten Punkt ist auch das Effectuation-Prinzip „Leveraging Contingencies”, auch „Lemonade” genannt. Dahinter steckt die Logik, dass Entrepreneurinnen und Entrepreneure sich zwar in eine ungewisse, nicht bis ins Detail analysierte Zukunft wagen, aber stets offen für Neues sind. Sie nutzen also die Umstände und den Zufall, um voranzukommen.
Effectuation vs. Causation: Was sind die Unterschiede?
Nur was vorausgesagt werden kann, lässt sich planen und mit Zielen versehen: Etablierte Unternehmen verfolgen häufig diese kausale Logik (engl. „Causation”). Lassen sich aber Dinge nicht prognostizieren oder Risiken einschränken, kommt Unsicherheit auf − denn die Zielorientierung ist nicht mehr gegeben.
Bei der Effectuation geht man nicht davon aus, dass sich die Zukunft deuten lässt. Stattdessen liegt der Fokus auf den bestehenden Mitteln, um die gewünschten Ergebnisse zu erreichen.
Auch bei den Kennzahlen unterscheiden sich Effectuation und Causation: Bei der Causation setzen sich Unternehmen einen erwarteten Ertrag als Ziel, aus dem sich die Mittel und Maßnahmen ableiten. Beim Effectuation-Ansatz dagegen ist der leistbare Einsatz und damit der leistbare Verlust die Rechengröße.
Auch die Grundwerte gehen in unterschiedliche Richtungen: Während bei der Effectuation Kooperationen und Zufälle erwünscht sind, sollten Unternehmende bei der Causation Zufälle vermeiden. Das Vorgehen erfolgt kompetitiv.
Fazit: Ungewissheit meistern, Chancen nutzen
Warum konnten einige Start-ups die Corona-Krise meistern, obwohl ihre Aussichten düster waren? Die Gründer und Gründerinnen wussten, dass sie handeln müssen − und das möglichst schnell. Anstatt die Zeit mit Zahlen-Logik und Analysen zu verbringen, trafen Sie schnelle Entscheidungen, ergriffen sie spontane Möglichkeiten, schlossen neue Partnerschaften und setzten dafür ihre leistbaren Mittel ein.
Titelbild: Luis Alvarez / iStock / Getty Images Plus