Der deutsche Mittelstand gilt als das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Rund 99 % aller Unternehmen zählen zu den kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU). Eine besondere Gruppe sind hierbei die sogenannten Hidden Champions. Das ist eine Form von Mittelständlern, die sich durch besondere Eigenschaften auszeichnet – Eigenschaften, die für Arbeitnehmer, Dienstleister und Agenturen sehr interessant sein können. Deswegen lohnt es sich für Sie, nach diesen „geheimen Gewinnern” Ausschau zu halten.
Was sind Hidden Champions?
Der Begriff „Hidden Champion“ beschreibt mittelständische und größere Unternehmen, die in der Regel unter 500 Mitarbeiter beschäftigen und einen Jahresumsatz zwischen 50 Millionen und drei Milliarden Euro erwirtschaften. Die Hidden Champions sind weltweit führend oder sogar Weltmarktführer in einer Marktlücke und in der breiten Öffentlichkeit weitestgehend unbekannt.
Wie wird ein Unternehmen zum Hidden Champion?
Was unterscheidet die unbekannten Weltmarktführer noch von anderen Unternehmen? Oftmals sind das folgende Faktoren:
Standort
Sie sind häufig in der Provinz angesiedelt, nicht in Großstädten. Oder im „Speckmantel“ von Ballungsgebieten, wo viele große, namhafte Unternehmen ihren Sitz haben.
Spezialisierung
Ihre hochtechnologischen Produkte und Spezialdienstleistungen sind für eine Marktnische konzipiert. Dafür wird besonderes Know-how benötigt, das es im In- und Ausland nur selten gibt.
Fluktuation
… gibt es bei den Hidden Champions kaum. Die hochqualifizierten Mitarbeiter bleiben in der Regel viele Jahre bei ihrem Arbeitgeber.
Kundennähe
Häufig werden individuelle Lösungen für wenige, aber langfristige Großkunden umgesetzt.
Geschäftskunden
Business-to-Business ist der Bereich, in dem eine hohe Anzahl von unbekannten Mittelständlern tätig sind. Sie fertigen beispielsweise Maschinen für die Industrieproduktion oder vertreiben über reinen B2B-Vertrieb einzelne Komponenten.
Internationalität
Nicht selten erwirtschaften die Hidden Champions einen hohen Anteil ihres Umsatzes im Ausland.
Traditionsreich
Wenige sind in der „New Economy“ wie der IT- oder Softwarebranche tätig. Stattdessen wuchsen sie über Jahrzehnte in klassischen Branchen heran.
Familienunternehmen
Auch die Struktur ist besonders: Die geheimen Weltmarktführer sind oft im Besitz von Familien und inhabergeführt, somit keine börsennotierten Aktiengesellschaften.
Nachhaltiges Wachstum
Durch die Positionierung in Nischen erfolgt das Wachstum langsam und durchdacht.
Wie viele Hidden Champions gibt es in Deutschland?
Das lässt sich nicht genau sagen, was unter anderem an der etwas schwammigen Definition des Begriffs liegt. Verschiedene Erhebungen reden von circa 500 bis 1500 deutschen Unternehmen, die als Hidden Champion gelten.
Das bedeutet: Von den rund 3,3 Millionen Unternehmen, die in Deutschland ansässig sind, gehört nur ein ganz kleiner Bruchteil zu den unbekannten Nischen-Marktführern.
Wie sieht die Verteilung über die Bundesländer aus?
Woher kommen die Hidden Champions? In welchem Bundesland sitzen die meisten? Auch diese Frage lässt sich nur ungenau beantworten, da es wenige Erhebungen gibt. Viele davon sind schon einige Jahre alt.
Zum Beispiel fand Hermann Simon für sein Buch „Hidden Champions des 21. Jahrhunderts“ (erschienen 2007) heraus, dass die meisten „Geheimtipps“ aus Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Bayern und Hessen stammen. Setzt man die absoluten Zahlen in Relation zu der Anzahl der Einwohner, führen Hamburg, Baden-Württemberg, Hessen und Bayern die Liste an.
Eine Erhebung des IWD (Institut der deutschen Wirtschaft) aus dem Jahr 2016 zeigt ein ähnliches Bild: Die führenden Bundesländer in Sachen Hidden Champions sind Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Bayern und Hessen. Zu den Schlusslichtern gehören Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt.
Laut der IHK Arnsberg sei Südwestfalen bzw. das Sauerland eine Hochburg führender Mittelständler. Das besagt die Veröffentlichung „Weltmarktführer und Bestleistungen der Industrie aus Westfalen“, die 2018 erschien.
Quelle: Screenshot IWD
Woher kommen diese regionalen Unterschiede?
Dafür gibt es mehrere Gründe:
Konzerne als Magnet
Viele „geheime Gewinner“ sind im B2B-Bereich tätig, sie dienen beispielsweise als Zulieferer für große Unternehmen. Deswegen haben sie sich im Einzugsbereich von Konzernen angesiedelt.
Magnete ziehen Magnete an
Rund um einen Konzern oder eine Industrie entsteht oft ein Ballungszentrum mit verschiedenen Spezialherstellern, Zulieferern und Sub-Dienstleistern, die auch untereinander Geschäfte tätigen.
Infrastruktur
Eine gute Anbindung an Autobahnen, Schienen, Flüsse und Flughäfen ist ebenfalls ein wichtiger Punkt, der für oder gegen eine Region spricht.
Viele der genannten Gründe sind in West- und Süddeutschland vorzufinden. Baden-Württemberg ist beispielsweise bekannt als Region der „Tüftler und Denker“, Daimler, Bosch, Porsche, Stihl und Kärcher haben rund um Stuttgart ihren Sitz.
Dagegen finden sich in Ostdeutschland viele strukturschwache Gegenden, was sich negativ auf die Attraktivität für Hidden Champions auswirkt.
Hidden-Champions-Liste: 10 Weltmarktführer aus Deutschland, die Sie kennen sollten
Hier sind zehn Beispiele für deutsche Unternehmen, die in ihrem Markt sehr erfolgreich sind.
1. Interstuhl
Mit mehr als 160 Millionen Euro Umsatz gehört die Interstuhl GmbH & Co. KG zu den führenden Bürostuhl-Herstellern in Europa. Über 40 % seiner Produkte exportiert das inhabergeführte Unternehmen aus Meßstetten-Tieringen (Schwäbische Alb / Baden-Württemberg) ins Ausland.
Interstuhl wurde 1961 gegründet, heute hat der Spezialist für Sitzlösungen rund 850 Mitarbeiter.
2. Herrenknecht
Herrenknecht ist ein weiterer Hidden Champion aus Baden-Württemberg. Martin Herrenknecht gründete seine Firma 1977 als GmbH, seit 1998 firmiert sie als Aktiengesellschaft, die aber nicht an der Börse gehandelt wird.
Die Produkte von Herrenknecht sind oft für große, schwere Arbeiten zuständig: Das Unternehmen stellt sogenannte Tunnelvortriebsmaschinen her. Diese kamen unter anderem beim Bau des Elbtunnels und dem Gotthard-Basistunnel zum Einsatz.
3. Klais
Der voll ausgeschriebene Name verrät, wofür dieses weltweit führende Unternehmen bekannt ist: Johannes Klais Orgelbau GmbH & Co. KG. Der Bonner Spezialist für Kirchenorgeln und Konzertorgeln wurde bereits 1882 von Johannes Klais gegründet, heute arbeiten rund 60 Angestellte für die rund um den Globus bekannte Orgelmanufaktur.
Da Klais in der Regel nur wenige Orgeln pro Jahr herstellt, gehört auch die Restaurierung von alten Orgeln zum Angebot des über 100 Jahre alten Traditionsunternehmens. Das sorgt für einen Umsatz im mittleren einstelligen Millionenbereich.
4. Zöllner
„Signal System Technologies“ nennt sich das Feld auf Englisch, in dem die Zöllner Signal GmbH agiert. Das in Kiel ansässige Unternehmen ist weltweit führend im Bereich der akustischen Signalanlagen, wozu Schiff-Signalhörner gehören. Der 1946 gegründete norddeutsche Hidden Champion hat rund 40 Niederlassungen, unter anderem in Frankreich, Polen, Großbritannien und Australien.
5. Teamviewer
Tilo Rossmanith gründete 2005 die Teamviewer GmbH, um seine selbst entwickelte Fernwartungssoftware zu vertreiben. Die Software wurde bislang über 2,5 Milliarden Mal heruntergeladen und kommt pro Jahr auf circa 320 Millionen Geräten in 200 Ländern zum Einsatz.
Dieser Erfolg sorgte für eine Umfirmierung in eine Aktiengesellschaft. Der Umsatz der Teamviewer AG lag alleine im dritten Quartal 2020 bei 106 Millionen Euro, der Jahresgesamtumsatz bei über 450 Millionen Euro.
6. Lürssen
Über eine Milliarde Euro Umsatz pro Jahr macht dieser recht unbekannte Gigant. Die Fr. Lürssen Werft GmbH & Co. KG sitzt in Bremen und produziert erfolgreich Jachten und Marineschiffe.
Bei der Gründung im Jahr 1875 lag der Schwerpunkt bei Arbeitsbooten. Der 24-jährige Friedrich Lürssen setzte mit dieser Idee vor knapp 150 Jahren den Grundstein für ein Unternehmen, das im Laufe seiner langen Geschichten immer wieder für positive Schlagzeilen sorgte – zum Beispiel 1886 mit dem ersten Motorboot der Welt.
Die 2800 Mitarbeiter produzieren die Militärschiffe und Luxusjachten an vier deutschen Standorten. Das sind neben Bremen noch Wilhelmshaven, Hamburg, Rendsburg (in der Nähe von Kiel) und Wolgast vor der Insel Usedom.
7. Ottobock
Die Ottobock SE & Co. KG, auch Otto Bock geschrieben, entstand aus der Otto Bock Holding GmbH & Co. KG. Das Unternehmen macht seinen Umsatz von insgesamt über einer Milliarde Euro in mehreren Geschäftsbereichen. Dazu gehören unter anderem die Entwicklung und Produktion von Prothesen, Orthesen und Rollstühlen.
Die über 7000 Mitarbeiter arbeiten in 50 Ländern, darunter in zahlreichen zukunftsweisenden Geschäftsfeldern. Dazu gehören beispielsweise Kniegelenke, die über Mikroprozessoren gesteuert und per Apps bedient werden.
8. Grimme
„Kartoffel als Kernkompetenz“, so titulierte das Handelsblatt einen Beitrag über die Grimme-Gruppe. Kein Wunder: Die niedersächsische Firma aus Damme bietet Landmaschinen an, mit denen Landwirte unter anderem Kartoffeln und Rüben ernten. Die Produktpalette wächst seit der Gründung (1861) ständig an. So ist Grimme auch in den Bereichen Kunststofftechnik und Ersatzteilvertrieb tätig.
Die Unternehmensgruppe besitzt Niederlassungen in der ganzen Welt, zum Beispiel in der Türkei, in Polen, den USA, Russland und China. Die insgesamt 2700 Mitarbeiter sorgen für einen Umsatz von über 450 Millionen Euro.
9. Karl Storz
Noch ein Hidden Champion aus dem „Ländle“. Karl Storz begann sein Unternehmen 1945 in Tuttlingen und spezialisierte sich auf Endoskope. Die Karl Storz SE & Co. KG hat heute 8000 Mitarbeiter und macht 1,75 Milliarden Euro Umsatz. Das gelingt mit Produkten im Bereich Humanmedizin, Veterinärmedizin und der Industrie.
Der Hauptsitz von Karl Storz liegt immer noch in der Gründungsstadt Tuttlingen, doch das Unternehmen expandierte über die Jahrzehnte in zahlreiche Länder. Das Ergebnis sind knapp 50 Standorte in über 40 Ländern.
10. Kaspar Schulz
Kaspar Schulz, ein mittelständisches Unternehmen mit viel Geschichte und Besonderheiten. So wurde die heutige Kaspar Schulz Brauereimaschinenfabrik & Apparatebauanstalt e.K. schon 1677 in Bamberg gegründet und ist damit der älteste noch existierende Industriebetrieb der fränkischen Stadt. Und der älteste Brauereimaschinen-Hersteller der Welt.
Das Familienunternehmen entstand aus einer Kupferwerkstatt, die sich im Laufe der Jahrhunderte auf Maschinen und Zubehör für Brauereien spezialisierte. Dazu gehören Gär- und Ausschanktanks, Bräutheken, Milchsäureanlagen sowie Sudhäuser.
Wie findet man die Hidden Champions in Deutschland?
Viele Champions sind „hidden“, weil sie außerhalb ihrer Nischen-Geschäftsbereiche kaum oder keine öffentliche Kommunikation betreiben. So können Sie die geheimen Marktführer ausfindig machen:
Internetrecherche
Es gibt zahlreiche Artikel und News über viele deutsche Hidden Champions. Darüber hinaus sollten Sie in den Fachpublikationen der einzelnen Industriezweige und Branchen recherchieren, um die wichtigsten Marktteilnehmer ausfindig zu machen.
Events
Auf Events oder Fachmessen kommen die führenden Spezialisten zusammen. Deshalb bieten solche Veranstaltungen – auch digital – günstige Anlässe, um in direkten Kontakt mit Hidden Champions zu treten und die Weichen für eine Zusammenarbeit zu stellen.
Reale Netzwerke
Fragen Sie bei Branchenverbänden oder den Industrie- und Handelskammern nach den Hidden Champions.
Soziale Netzwerke
… heißen so, weil Sie mittels digitalem Networking über mehrere Ecken neue interessante Kontakte knüpfen können. Im Idealfall kommen Sie so schnell an Mitarbeiter der erfolgreichen Mittelständler.
Vom Hidden Champion zum echten Champion
Die Grenzen zwischen unbekanntem und bekanntem Unternehmen fallen fließend aus. Ein Zeichen, dass ein Hidden Champion reif für mehr ist, zeigt das Interesse von branchenfremden Großunternehmen aus dem Ausland.
Zum Beispiel werfen US-amerikanische und chinesische Investoren gerne einen Blick nach Deutschland, um dort auf „Einkaufstour“ zu gehen. Kein Wunder: Die Weltmarktführer sind extrem attraktiv.
Titelbild: Amy Humphries / Unsplash