Der französische Chemiker, Biochemiker und Physiker Louis Pasteur sagte einmal: „Veränderungen begünstigen nur den, der darauf vorbereitet ist.“ Dieses Zitat ist zeitlos, denn das Rad der Zeit steht niemals still. Die Welt verändert sich ständig, mal eher langsam, mal eher schnell.
Die Digitalisierung und die Globalisierung sind zum Beispiel zwei Themen, welche Unternehmen seit einigen Jahren schwer beschäftigen – und noch lange umtreiben werden. Deshalb ist es wichtig, dass das Management sowie dessen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen stets offen für Neues sind. Das gelingt unter anderem über eine lernende Organisation.
Was ist eine lernende Organisation?
Eine lernende Organisation reagiert auf die sich ständig verändernden Verhältnisse, indem alle Menschen danach streben, ihr Wissen zu erweitern. Dieses Wissen wird genutzt, um sich anzupassen, zum Beispiel an neue Marktverhältnisse oder Trends.
Herkunft: Die lernende Organisation nach Senge
Den Begriff „Lernende Organisation“ hat Peter Michael Senge in den 1990er-Jahren geprägt. Senge arbeitet am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und gilt als renommierter Vordenker für Systemforschung und Organisationsentwicklung. In seinem Buch „The Fifth Discipline: The Art and Practice of the Learning Organization“ erklärt er, wie beispielsweise Unternehmen mit fünf Disziplinen eine lernende Organisation entwickeln können.
Die fünf Disziplinen nach Senge sind
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Personal Mastery,
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Mental Models,
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Shared Visioning,
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Team Learning und
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Systems Thinking.
Hier eine genaue Erläuterung der einzelnen Aspekte:
Personal Mastery: Die persönliche Weiterentwicklung
Damit eine lernende Organisation entstehen kann, benötigt sie die Disziplin der „Personal Mastery“. Dahinter steckt der eigene Antrieb der einzelnen Mitarbeitenden, sich ständig weiterentwickeln zu wollen und Neues zu erlernen. Das individuelle Streben nach Veränderungen und Verbesserungen basiert auf mehreren Elementen. Dazu gehören beispielsweise der Blick auf die Gegenwart und die Entwicklung einer Vision. Durch Ehrlichkeit, Offenheit, Vernunft und Mitgefühl kann jeder Mensch seinen Weg finden und sich zugleich für das große Ganze engagieren.
Mental Models: Selbstreflektion als Mittel der Verbesserung
Unter mentalen Modellen versteht man das Abbild der Wirklichkeit durch die menschliche Wahrnehmung. Denn das, was wir über die menschlichen Sinnesorgane aufnehmen und mit dem Gehirn auswerten, durchläuft einige „Filter“. Dadurch entsteht bei jeder Person eine individuelle, eingeschränkte Sichtweise. Diese gilt es durch das Verständnis für mentale Modelle zu erkennen und zu hinterfragen.
Wenn sich die Mitarbeitenden eines Unternehmens bewusst werden, dass sie unterschiedliche Sichtweisen auf ein Thema haben, finden sie einen Weg zur Reflexion. Dadurch können sie die Probleme einer Organisation besser erfassen und beseitigen – oder Wege zur Veränderung finden.
Shared Visioning: Gemeinsame Ziele
Gemeinsam in die Zukunft blicken. Gemeinsam Herausforderungen lösen. Gemeinsam Werte vertreten. Das sind die Ideen hinter einer Vision.
Bei einer lernenden Organisation benötigt es nach Senge das „Shared Visioning“, das Teilen der Visionen. Dabei geht es nicht darum, dass ein gemeinsames Ziel von oben (dem Upper Management) bestimmt wird, sondern dass mehrere Einzelversionen (beispielsweise von einzelnen Mitarbeitenden) zu einer verbindenden Version führen. Dieses Bündeln kann zum Beispiel durch eine Führungskraft erfolgen.
Team Learning: Lernen im Team
Das Teilen von Wissen ist eine weitere Disziplin der lernenden Organisation. Die Teammitglieder müssen hierfür verstehen, dass sie gemeinsam besser vorankommen können, um ihre Ziele und Visionen zu erreichen. Der Zusammenschluss zum Team Learning erfolgt freiwillig oder durch eine Moderation.
Kommen Informationen, Erfahrungen und Kompetenzen durch Team Learning zusammen, entstehen Synergieeffekte. Deren Ergebnis fällt größer als die Summe der einzelnen Bestandteile aus.
Systems Thinking: Das Systemdenken
Eine Organisation ist ein großes System, das aus vielen Komponente besteht. Die Mitglieder einer lernenden Organisation haben zu verstehen, wie die verschiedenen Systeme zusammengehören und sich gegenseitig beeinflussen. Es soll aufgezeigt werden, dass Insellösungen oder Silos (wie sie gern in Abteilungen vorkommen) das Gesamte nicht voranbringen. Stattdessen sollte es das Ziel sein, interdisziplinär zu agieren.
Senge entwickelte dazu die „11 Gesetze der Fünften Disziplin“, um die Herausforderungen bildlich zu beschreiben. So sagte er beispielsweise (sinngemäß übersetzt):
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„Sie können den Kuchen behalten und essen – nur nicht gleichzeitig.“
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„Wer einen Elefanten in zwei Hälften teilt, bekommt nicht zwei kleine Elefanten.”
Die lernende Organisation nach Liebsch
Die Diplom-Wirtschaftspädagogin und Unternehmensberaterin Beate Liebsch veröffentlichte 2011 ein Kompendium mit dem Titel „Phänomen Organisationales Lernen“. Darin arbeitet sie vier Eigenschaften von lernenden Organisationen heraus:
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Sie sind offene Systeme: Das bedeutet, es gibt einen stetigen Informationsaustausch. Dieser erfolgt innerhalb der Organisation wie auch mit der Außenwelt.
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Die Organisationen befinden sich im ständigen Umbruch, der Wandel ist ein Dauerzustand. Dadurch entsteht ein dynamisches System.
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Trotz Vorgaben wie Strategien und Planungen entsteht ein flexibles System, das sich schnell verändern und anpassen kann.
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Die Flexibilität kann in einem selbst organisierten System münden, bei dem der Fluss des Wissens die Vorgaben einer Organisationsstruktur überwindet.
Ein Ziel: Das informelle Lernen
Die Personal Mastery – die persönliche Weiterentwicklung – gehört zu den wichtigsten Treibern der lernenden Organisation. Dabei gibt es drei Wege, wie beispielsweise die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Unternehmens vorankommen:
- Beim unterbewussten Lernen (Englisch: Tactic Learning) erfolgt die Wissensaufnahme ohne konkreten Plan. Das kann beispielsweise das spielerische Aneignen von Fähigkeiten sein.
- Geschieht der Wissenserwerb nebenbei, zum Beispiel bei der Vorbereitung auf eine neue Herausforderung, spricht man vom beiläufigen oder zufälligen Lernen (Incidental Learning).
- Erkennen Teammitglieder eigenständig ihre Lücken, bessern sie ihre Fähigkeiten und Kompetenzen durch sogenanntes selbstgesteuertes Lernen (Englisch: Self-Directed Learning) auf. Hierbei formulieren sie sich selbst Ziele und überprüfen nach der Weiterbildung eigenständig ihren Erfolg.
Eine lernende Organisation bietet alle drei Möglichkeiten. Das heißt, die Mitarbeitenden eines Unternehmens können explizit sowie implizit lernen und hierdurch individuell vorankommen.
Die wichtigsten Prinzipien der lernenden Organisation
Damit ein Lernprozess und damit eine lernende Struktur entstehen kann, benötigt ein Unternehmen ein paar Prinzipien. Diese leiten sich unter anderem aus den genannten Theorien ab.
Flache und flexible Hierarchien
Damit sich Mitarbeitende oder Teammitglieder intrinsisch (also durch ihren Eigenantrieb) Wissen aneignen und dieses weitergeben können, benötigen sie Freiräume.
Diese sind in starren oder komplizierten, hierarchischen Strukturen schwer möglich. Wenn es beispielsweise weniger Regeln und Vorgaben gibt, können sich Menschen freier entfalten. Das fördert die Aneignung von Wissen und deren Weitergabe.
Dialog statt Konkurrenz
Getreu dem Team Learning und dem Shared Visioning sind Informationen und Wissen weiterzugeben, sodass alle in der Organisation davon profitieren. Auch der Austausch mit Externen kann dazugehören. Durch die Zusammenarbeit und den Informationsfluss wird das Lernen angeregt und gefördert.
Aufbau von Netzwerken
Netzwerke dienen dazu, das Lernen voranzubringen. Auch hier ist an interne und externe Netzwerke zu denken. Sie dienen dazu, Wissen zu teilen und abzuspeichern, zum Beispiel in Form von Wissensmanagement-Tools.
Entwicklung einer Unternehmenskultur
Die Schaffung von flachen Hierarchien, die Förderung des Dialogs und die Motivation zur Weiterbildung sind Elemente einer Unternehmenskultur. Sie schafft ein verbindendes Element und zugleich die Basis, um das Lernen der Organisation voranzubringen.
Systemische Einheit bilden
Die genannten Elemente bilden zusammen eine systemische Einheit. Diese dient dazu, die Ziele der lernenden Organisation zu erfüllen. Das kann gelingen, wenn die Herausforderungen von innen heraus angegangen werden. Dazu benötigt es unter anderem die Kollaboration, die Visionen und weitere Prinzipien – und unter Umständen eine systemische Organisationsberatung.
Ein Beispiel für eine lernende Organisation
Bei einer lernenden Organisation sollten sich die einzelnen Elemente (die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wie auch Teams) und zugleich alle (das gesamte Unternehmen) durch Lernen weiterentwickeln. So ist es beispielsweise möglich, schnell auf verändernde Wünsche der Kundschaft zu reagieren.
Eine Möglichkeit ist die Anwendung des PDCA-Zyklus, auch Denim-Kreis genannt. Hierbei handelt es sich um eine Form des Projektmanagements, die aus einem Kreislauf mit vier Schritten besteht. Diese Schritte nennen sich
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Plan (Planen),
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Do (Umsetzen),
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Check (Überprüfen) und
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Act (Handeln).
Das Ziel des PDCA-Zyklus ist es, ein Produkt sukzessive zu verbessern, indem ein Team Feedback einholt, aus den Erkenntnissen lernt und die passenden Veränderungen vornimmt.
So entsteht Schritt für Schritt neues Wissen – und ein Produkt, das sich am Wunsch der Kundinnen und Kunden orientiert. Diese Art der Anwendung kommt in agilen Entwicklungsmethoden wie Design Thinking und Scrum zum Einsatz.
Tipps für den Aufbau einer lernenden Organisation
Eine lernende Organisation entsteht weder von allein noch über Nacht. So lässt sich eine derartige Struktur entwickeln:
- Eine lernende Organisation muss „von oben“, dem Upper Management, gewollt sein. Diese Ebene initiiert das Vorhaben und unterstützt es.
- Ohne Strategie geht es nicht. Zum einen muss klar sein, was die Ziele des Vorhabens sind. Zum anderen gilt es, passende Maßnahmen abzuleiten und deren Erfolg fortwährend zu überprüfen.
- Wie sieht die aktuelle Unternehmenskultur aus? Wie sollte sie in Zukunft aussehen, damit das Lernen gefördert wird? Auch dafür braucht es einen Plan.
- Der Abbau von Hierarchien und Vorgaben sind zwar wichtige Prozesse für die Erschaffung einer lernenden Organisation; trotzdem benötigt sie eine gewisse Struktur. Dazu gehört unter anderem die Benennung von Verantwortlichen, welche die Veränderungen antreiben und die Fortschritte überwachen.
- Der Aufbau von internen und externen Netzwerken dient dazu, kontinuierlich Wissen aufzubauen und weiterzugeben. Solche Netzwerke können Arbeitsgruppen oder Entwicklungszentren sein.
- Wissen kommt nicht von allein, gerade in einer immer komplexer werdenden Welt. Die Verantwortlichen haben digitale Tools auszuwählen und IT-Systeme aufzubauen. Auch hier ist ein enger Austausch mit den Anwendern und Anwenderinnen (den Mitarbeitenden) zu suchen.
Der Lernprozess für Veränderungen
Neben dem ersten Zitat aus unserer Einleitung stammt auch dieses von Louis Pasteur: „Der Wille öffnet die Türen zum Erfolg.“ Personal Mastery, Systemdenken, gemeinsame Visionen und weitere Elemente der lernenden Organisation sorgen dafür, dass mit dem Willen, das Unbekannte zu erforschen und zu erlernen, viele Türen zum Erfolg geöffnet werden.
Das Ziel ist es, einen dauerhaften Lernprozess im Unternehmen zu ermöglichen, um die täglich neuen Herausforderungen zu meistern. Ebenso bietet eine lernende Organisation ein sehr gutes Fundament, um ein Innovationsmanagement aufzubauen. Dieses Vorhaben ist selten leicht, besser gelingt es mit einem geführten Prozess wie dem Change-Management.
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