Warum interessiert sich Frau Toker für Innovationen, Herr Kruger dagegen bremst Veränderungen ständig aus? Und weshalb gelingt es Herrn Kruger nicht, sich ins Team zu integrieren? Wenn Sie Ihre Kollegen und Kolleginnen beobachten, merken Sie, dass es ziemlich verschiedene Charaktere gibt. Mit dem Riemann-Thomann-Modell können Sie diese besser einschätzen und mit ihnen effizienter zusammenarbeiten.
Riemann-Thomann-Modell: Eine Erklärung
Die Persönlichkeit eines jeden Menschen besteht aus den vier Polen Nähe, Distanz, Dauer und Wechsel. Sie sind sogenannte Grundbestrebungen, die sich in unterschiedlichen Verhaltensweisen und Bedürfnissen zeigen. Erkannt und beschrieben haben das Phänomen Fritz Riemann und Christoph Thomann, wodurch das Riemann-Thomann-Modell entstand.
Der Hintergrund zur Entstehung des Modells
In seinem 1961 erschienenen Werk „Grundformen der Angst”, das mittlerweile rund eine Million Mal verkauft wurde, erklärt Fritz Riemann, dass sich Persönlichkeiten in vier Kategorien einteilen lassen. Die Beschreibung des deutschen Psychoanalytikers nahm der Schweizer Psychologe Christoph Thomann in den 1970er-Jahren auf. Er nutzte dieses Raster für die Paartherapie, um Verhaltensweisen in Beziehungen zu erklären.
Fritz Riemann ordnete die Grundausrichtungen seiner Patienten in schizoid, depressiv, zwanghaft und hysterisch ein. Thomann entwickelte die Idee weiter und machte daraus die vier „harmloseren” Grundbestrebungen. So entstand das Modell, das heute als Riemann-Thomann-Modell bekannt ist.
Interessant dabei: Riemann und Thomann sind sich nie begegnet und standen auch nie zueinander im Austausch. Das Persönlichkeitsmodell ist somit kein Ergebnis einer Kooperation, sondern wurde von Thomann lediglich weiterentwickelt bzw. abgewandelt.
Das Riemann-Thomann-Modell im Detail
Nähe, Distanz, Dauer und Wechsel: Jeder Mensch zeigt diese Bestrebungen, allerdings in einer anderen Ausprägung. Bei manchen geht die persönliche Tendenz zu ein oder zwei Polen, bei anderen prägen unter Umständen drei oder vier Pole das Verhalten. Jedoch haben alle ein sogenanntes „Heimatgebiet”, auch „Heimatfeld” genannt. Darunter versteht man eine Ausprägung, die bei einer Person ganz besonders hervorsticht.
Mit jeder Ausprägung gehen gewisse Charaktereigenschaften einher, beispielsweise:
- Menschen, bei denen die Grundausrichtung „Nähe” ausgeprägt ist, streben nach Harmonie, Zugehörigkeit und Mitgefühl.
- Das Gegenteil zeigt die Einordnung „Distanz”: Hier möchten die Personen eigenständig sein und zeigen sich sachlich.
- Die Grundstrebung „Dauer” führt dazu, dass unter anderem Verlässlichkeit und Ausdauer zur Persönlichkeit zählen.
- Ein „Wechsel”-Typ neigt eher zur Spontanität und hat das Bedürfnis, kreativ und flexibel zu arbeiten.
Beispiele für das Riemann-Thomann-Modell
Falls Sie in Ihrer Vertriebsabteilung initiativ etwas verändern möchten, denn Sie sind tendenziell ein „Wechsel”-Typ. Dementsprechend arbeiten Sie gerne an Konzepten, um Prozesse zu optimieren. So möchten Sie zum Beispiel gerne eine agile Organisation einführen und schlagen einen situativen Führungsstil vor.
Doch Ihrer Unternehmensführung gefallen Ihre Ideen nicht. Die beiden Geschäftsführenden sind Menschen mit Dauer-Orientierung. Sie möchten die bekannten Strukturen und Abläufe möglichst lange beibehalten. Die Folge kann ein Konflikt sein
Warum gilt das Riemann-Thomann-Modell als so interessant?
Wie ist Ihre Kommunikation? Wie verhalten Sie sich? Was treibt Sie an? Wie verlässlich sind Sie? All das erklärt sich theoretisch über das Riemann-Thomann-Modell. Dementsprechend eignet es sich sehr gut, um Sie und Ihr Verhalten einzuschätzen. Das können Sie nutzen, um sich selbst zu reflektieren und an Ihrer Persönlichkeit zu arbeiten.
Das Riemann-Thomann-Modell können Sie zudem anwenden, um Kolleginnen und Kollegen besser zu einzuordnen und sie nach ihren Stärken einzusetzen. Erkennen Sie die jeweiligen Grundausrichtungen und das Heimatgebiet anderer Personen, wissen Sie besser, wie Sie mit den Personen zurechtkommen und welche Aufgaben diese Mitarbeitenden besonders gut übernehmen können. Das verbessert die Zusammenarbeit, erhöht die Motivation und die Produktivität.
Wichtig: Die Ausprägungen können sich verändern. Deshalb fällt es Ihnen vielleicht schwer, sich selbst genau ein, zwei oder gar drei Grundausrichtungen klar zuzuordnen. Und vielleicht waren Sie vor 5 Jahren noch ein ganz anderer Typ als heute. Es lohnt sich also, den Test hin und wieder zu wiederholen.
Was bedeutet das Riemann-Thomann-Modell für Führungskräfte?
Jeder Mensch ist anders – das ist keine neue Erkenntnis. Halten Sie eine führende Position inne, gibt Ihnen das Riemann-Thomann-Modell die Möglichkeit, die Persönlichkeiten in Ihrem Team besser analysieren. Wenn Sie wissen, wie jeder einzelne Mitarbeitende „tickt” und welche Ausprägung er oder sie haben, sollten Sie das zum Vorteil Ihres Teams und der jeweiligen Mitarbeitenden nutzen. Sie werden sehen: Davon profitiert langfristig auch Ihr Unternehmen.
Zum Beispiel können Sie Arbeitsgruppen für Innovationen bilden, die größtenteils aus Personen bestehen, die zu den Polen „Nähe” und „Wechsel” tendieren. Denn diese zeigen das Bedürfnis, Dinge zu verändern, oft verbunden mit einer hohen Risikobereitschaft. Ihre Persönlichkeiten zeichnen sich zudem dadurch aus, dass Sie gerne im Team zusammenarbeiten und viel Wert, auf gute Kommunikation legen.
Als Führungskraft ist es Ihnen über die Anwendung des Riemann-Thomann-Modells ebenso möglich, besser auf jedes Individuum einzugehen. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die eine Ausprägung in Richtung „Distanz” haben, sind tendenziell keine guten Teamplayer. Dafür punkten Sie mit einem logischen, rationalen Vorgehen. Diese können Sie zum Beispiel für die Umsetzung von Strategien einsetzen.
Doch: Achten Sie darauf, dass Sie nicht nur homogene Gruppen bilden! Sie müssen die verschiedenen Persönlichkeiten akzeptieren und diese integrieren. Das mag vielleicht für Spannungen sorgen, doch dadurch können auch neue Impulse entstehen.
Fazit: Welche Ausprägung ist gut, welche nicht?
Das Riemann-Thomann-Modell bietet zwar eine Erklärung, warum sich Menschen so verhalten, wie sie es tun. Doch es liegt darin keine Bewertung! Kollegen und Kolleginnen, die stark die Ausprägung „Distanz” haben, sind nicht besser oder schlechter als die Mitarbeitenden des Heimatgebietes „Nähe”.
Das Persönlichkeitsmodell hilft Ihnen lediglich dabei, Charaktere und ihre Eigenschaften leichter zu erkennen und die Kommunikation untereinander so zu verbessern. Es soll aber nicht dazu dienen, Menschen und Ihr Verhalten zu „verbiegen”. Akzeptieren Sie die Anderen, wie sie sind. Und nutzen Sie die Erkenntnisse über die Eigenschaften, um das Verständnis füreinander zu verbessern.
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