Haben Sie schon einmal von Everett Rogers und seiner Diffusionstheorie gehört? Selbst wenn Ihnen der Wissenschaftler und sein Ansatz kein Begriff ist, sind Sie dauerhaft Teil seiner Theorie. Was es mit der Diffusionstheorie auf sich hat, erklären wir Ihnen im folgenden Artikel.
Diffusionstheorie: Rogers Interpretation von Innovation
Als Dozent und Lehrbeauftragter war Everett Rogers als Kommunikationstheoretiker primär an der University of New Mexico in den Vereinigten Staaten aktiv, wobei ihn seine Thesen an zahlreiche Universitäten weltweit führten. Die bekannteste These von ihm ist die Diffusionstheorie.
Die Diffusionstheorie nach Rogers beschreibt die Entwicklung von Innovationen und wie sich diese auf dem Markt verbreiten. Diffusion verbindet man im ersten Moment nicht mit Innovation und Marketing, vielmehr mit Physik oder Chemie. In den Naturwissenschaften spricht man – stark vereinfacht erklärt – von Diffusion, wenn Gase und Flüssigkeiten verschmelzen.
Mit dieser Definition im Hinterkopf lässt sich der Begriff auf das Marketing und Innovationen übertragen. Diffusion beschreibt in diesem Zusammenhang sämtliche Prozesse, die ausgelöst werden, wenn Innovationen zeitlich verzögert vom Markt übernommen werden, also mit ihm verschmelzen.
Doch wie sind Innovationen in dem Zusammenhang definiert?
Als Innovation gelten Technologien, Entwicklungen, Ideen, Dienstleistungen oder Produkte, die die Gesamtheit des Marktes als neu empfindet. Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit: Elektromobilität oder 3D-Druck.
Es müssen aber nicht immer digitale Technologien sein. Die Erfindung bzw. Marktausbreitung des Reißverschlusses galt Anfang des 20. Jahrhunderts beispielsweise als große Innovation.
Diffusionstheorie: Phasen einer Innovation
Die Akzeptanz einer Innovation geschieht laut Rogers jedoch nicht von heute auf morgen.
Beispiel gefällig? Der Sicherheitsgurt wurde in den 50er-Jahren in Deutschland eingeführt. Erst seit Mitte der 70er-Jahren ist er Pflicht. Bei seiner heutigen Relevanz kaum vorstellbar, dass es mehr als 20 Jahre bis zur vollständigen Akzeptanz gedauert hat.
Dieser Adoptionsprozess einer Innovation gliedert sich laut Rogers in fünf Phasen.
1. Phase: Knowledge (Wissen)
Sie erfahren von einem neuen Produkt, einer neuen Technologie oder Dienstleistung. Zu Beginn sind Sie eher skeptisch eingestellt – das liegt in der Natur des Menschen.
Nach und nach entwickeln Sie Verständnis für das Neue und lernen, wie es funktioniert. Rogers spricht in dieser Phase von drei Typen des Wissens:
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awareness knowledge: Bloße Kenntnis der Innovation
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how to knowledge: Die Anwendung der Innovation ist klar – falls nicht, wird diese eher abgelehnt
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principles knowledge: Vollständiges Wissen über die Innovation
2. Phase: Persuasion (Überredung)
In der zweiten Phase beschäftigen Sie sich erstmals mit der Innovation und bilden sich Ihre eigene Meinung. Dabei lassen Sie Einflüsse aus Ihrem sozialen Umfeld zu. Die Interpretation liegt ganz bei Ihnen – sind Sie von der Innovation überzeugt, gehen Sie in die dritte Phase über.
3. Phase: Decision (Entscheidung)
Sie haben sich eine Meinung gebildet und akzeptieren die Innovation oder lehnen Sie ab. Rogers unterscheidet dabei zwischen aktiver und passiver Ablehnung.
- Aktiv: Sie haben alle Facetten der Innovation abgewogen und lehnen diese ab.
- Passiv: Sie haben sich nicht ausreichend mit der Innovation beschäftigt und akzeptieren Sie daher nicht.
4. Phase: Implementation (Implementierung/Einführung)
Der Name der vierten Phase beschreibt den Vorgang sehr treffend. Sie beginnen, die Innovation in Ihr Leben zu implementieren und zu nutzen. Dabei kann es zu einer Veränderung der Innovation kommen – dieser Prozess wird „Re-Invention“ genannt. Rogers vermutet einen positiven Effekt, je flexibler die Innovation ist.
5. Phase: Confirmation (Bestätigung)
In der fünften und letzten Phase suchen Sie nach Bestätigung. Sie blenden mit der Innovation verknüpfte, negative Einflüsse aus. Nehmen diese überhand, kann es zu einem Abbruch der Adoption kommen.
Rogers teilt einen Abbruch in zwei Arten:
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„replacement“: eine bessere Innovation löst die aktuelle ab
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„disenchantment“: Ablehnung aufgrund von Enttäuschung
Verbrauchertypen im Diffusionsmodell
Nicht jeder nimmt eine Innovation zum gleichen Zeitpunkt an. Rogers definiert fünf Verbrauchertypen, die gemessen vom Zeitpunkt der Markteinführung der Innovation diese früher oder später aufgreifen.
Die „Innovators“ sind diejenigen, die direkt zu Beginn das Potenzial der Innovation erkennen und nutzen. „Laggarts“ hingegen springen erst spät auf den Zug auf, wenn die Innovation längst in der Gesellschaft angekommen ist.
Die fünf Typen in der Übersicht:
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Innovator: Als Innovator gehören Sie zu einer sehr kleinen und exklusiven Gruppe, die das neue Produkt oder die neue Dienstleistung sehr schnell annehmen.
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Early Adopter: Gehören Sie zur Gruppe der Early Adopter, sind Sie ebenfalls „früh dran“. Diese Gruppe ist bereits deutlich größer als die der Innovators.
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Early Majority: Die Early Majority ist entscheidend für den Erfolg der Innovation. Nur, wenn die „frühe Mehrheit“ (wörtliche Übersetzung) die Innovation annimmt, hat diese das Potenzial, sich nachhaltig durchzusetzen.
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Late Majority: Gehören Sie zur Late Majority, sind Sie einer Neuerung gegenüber eher skeptisch eingestellt und springen spät auf den Zug auf. Die Forschung zeigt, dass diese Gruppe gegenüber den vorherigen ein eher niedrigeres Einkommen aufweist und sozial schwächer gestellt ist.
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Laggarts: Diese Gruppe beschreibt die Nachzügler. Als Laggart sind Sie eher Traditionalist und lehnen Veränderung ab. Ein Blick in die Forschung zeigt – Laggarts verfügen über wenig finanzielle Mittel und achten auf möglichst niedrige Kosten.
Faktoren für die schnelle Verbreitung von Innovationen
Stehen Sie mit einem neuen Produkt kurz vor der Markteinführung oder haben Sie eine zündende Idee, die Sie der Welt nicht vorenthalten möchten?
Achten Sie auf die folgenden Faktoren – sie spielen laut Rogers eine maßgebliche Rolle für die schnelle Verbreitung einer Innovation. Je umfänglicher und besser diese Punkte erfüllt sind, desto schneller breitet sich die Innovation im Markt aus:
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Kompatibilität zu vorhandenen Strukturen, Erfahrungen und Werten der Verbrauchertypen
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Niedriges Risiko bei der Übernahme: Ein neuer Schokoriegel, der zwar wahnsinnig gut schmeckt, aber in 50 Prozent der Fälle zu Erbrechen führt, wird wenig erfolgversprechend sein
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Klarer Nutzen für die Zielgruppe: Ihre Zielgruppe muss von den Vorteilen der Innovation überzeugt sein, es muss ihr einen klaren Mehrwert stiften
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Verständlichkeit: Ist Ihr Produkt oder Ihre Dienstleistung zu komplex und unverständlich, nimmt der Markt sie nicht gut an
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USP (Unique Selling Proposition) / Alleinstellungsmerkmal: Je einzigartiger die Innovation, desto vielversprechender – ein Kugelschreiber mit blauer Mine lässt Herzen nicht unbedingt höher schlagen
Fazit: Faktoren der Diffusionstheorie vor der Markteinführung von Produkten berücksichtigen
Das Diffusionsmodell von Everett Rogers lässt sich in der Theorie auf alle Innovationen anwenden. In der Praxis verläuft natürlich nicht jede Innovation gleich ab. Die Theorie von Rogers bietet für Marketerinnen und Marketer jedoch Anknüpfungspunkte, die Sie bei den Überlegungen zur Markteinführung von Produkten und Dienstleistungen berücksichtigen können.
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