Briefmarken, Münzen oder Fanartikel: Sie alle werden gern gesammelt. Doch obwohl hinter den Objekten nicht immer eine tatsächliche Geldanlage steckt, sehen Sammler und Sammlerinnen in ihren Kollektionen einen großen Wert. Grund dafür ist der Endowment-Effekt. Was das ist und wie der Besitztumseffekt auch im Marketing angewendet wird, erfahren Sie in diesem Artikel.

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Zum Hintergrund: Woher stammt der Besitztumseffekt?

Untersucht und verschriftlicht wurde der Endowment-Effekt von dem Nobelpreisträger und Professor Richard Thaler an der Universität Chicago. Thaler stellt in seinem Aufsatz „Toward a Positive Theory of Consumer Choice“ (1979) anhand zahlreicher Szenarien dar, dass Kaufentscheidungen entgegen dem Homo oeconomicus nicht rational getroffen werden. Er bezieht sich dabei auf das Prinzip der Verlustaversion, die Daniel Kahneman und Amos Tversky in ihrer Prospect-Theorie beschrieben haben.

Unter der Verlustaversion (loss aversion) wird verstanden, dass Menschen Verluste schlimmer empfinden als Gewinne. Sowohl die Verlustaversion als auch der Besitztumseffekt werden evolutionär begründet. Bis heute sind die Phänomene jedoch Gegenstand von zahlreichen Experimenten, um ihre genaue Ursache zu ergründen.

Das behalte ich: Experimente zum Endowment-Effekt

Die saloppe Redewendung „Was man hat, das hat man“ beschreibt den Endowment-Effekt ziemlich genau. Der Effekt wurde bereits in vielen Studien und Experimenten nachgewiesen. 1989 beschreibt der Verhaltensforscher Jack L. Knetsch die irrationale Bewertung seiner Studierenden von Kaffeetassen und einer Tafel Schokolade. Einer Gruppe von Studierenden schenkte Knetsch eine Kaffeetasse, einer anderen eine Tafel Schokolade. Als der Professor seinen Studierenden anbot, die jeweiligen Gegenstände gegeneinander auszutauschen, wollten 90 Prozent die Kaffeetasse nicht gegen die Schokolade eintauschen – und umgekehrt.

In Deutschland wurden an der Fachhochschule Kiel ähnliche Versuchsreihen zum Endowment-Effekt durchgeführt. Als Entscheidungsszenarien sind die folgenden fiktiven Varianten untersucht worden:

  • Gesundheit vs. Geld
  • Einkommen vs. Freiheit
  • Klausurpunkte vs. Freizeit
  • Fußball-EM-Tickets vs. Geld

In allen Untersuchungen zeigte sich deutlich, dass Personen weniger gewillt sind, den Aspekt, den sie besitzen, gegen den jeweils anderen auszutauschen. Gleichzeitig wurde dem Besitztum somit ein höherer Wert zugeschrieben.

Dass der Effekt jedoch nicht immer auftreten muss, konnte die Psychologin Ayelet Fishbach nachweisen: Sie fand heraus, dass gut gelaunte Menschen anfälliger für den Besitztumseffekt sind als schlecht gelaunte Personen.

Endowment-Effekt-Beispiel aus der Praxis

Praktisch lässt sich der Endowment-Effekt besonders gut am Aktienmarkt beobachten: Bei sinkenden Kursen halten Anlegende häufig an ihren Aktien fest und warten auf einen wieder steigenden Kurs. Grund dafür ist zum einen, dass der Verlust als besonders tragisch eingeschätzt wird. Zum anderen schreiben Anlegerinnen und Anleger den Aktien, die sich in ihrem Besitz befinden, automatisch einen höheren Wert zu.

Rational betrachtet sollten Aktien, die sich auf einem fallenden Kurs befinden, verkauft werden, um den Verlust zu minimieren. In der Praxis sieht das jedoch oft anders aus, da die Angst vorm Besitzverlust den tatsächlichen Verlust übertrumpft.

Wie der Endowment-Effekt im Marketing eingesetzt werden kann

Die Wirkungsweise des Endowment-Effektes kann im Marketing und Vertrieb als Herausforderung gesehen werden: Da Menschen Dinge, die sie schon besitzen, prinzipiell als wertvoller einschätzen, ist es schwierig, sie von neuen Produkten und Dienstleistungen zu überzeugen. Gleichzeitig ergeben sich jedoch auch eine Vielzahl von Chancen und Möglichkeiten, eben genau diesen Effekt gezielt anzusprechen.

Probeabos und Testzeiträume

Eine Besonderheit des Endowment-Effektes ist, dass dieser nicht nur auftritt, wenn uns etwas tatsächlich gehört, sondern auch, wenn wir nur auf den Geschmack gekommen sind. Im Marketing werden deshalb vor allem bei komplexen oder digitalen Produkten Testzeiträume und Probeabos angeboten. Während ein Kleidungsstück mal eben anprobiert werden kann, geht das bei Softwareprodukten oder Abonnements für Streamingdienste oder Zeitschriften weniger einfach.

Indem Kunden und Kundinnen in einem Probezeitraum jedoch ausgiebig mit dem Produkt oder der Dienstleistung interagieren können, entsteht das Gefühl, es bereits zu besitzen. Damit wird nicht nur die Kaufentscheidung positiv beeinflusst, gleichzeitig steigt auch der Produktwert, weshalb Nutzende schneller überzeugt werden können.

Coupons und Treueprogramme

Ein weiteres Beispiel für den Endowment-Effekt im Marketing sind Gutscheine und Coupons. Der geldwerte Vorteil beeinflusst nämlich Folgendes: Sobald Kundinnen und Kunden einen Gutschein besitzen, mit dem sie beispielsweise 5 Euro beim Kauf eines Produktes sparen, entsteht das Gefühl, bereits einen Anteil an dem Gegenstand zu besitzen.

Gleiches gilt für Treueprogramme. Sammeln Sie beispielsweise 100 Treuepunkte, um einen Kochtopf vergünstigt zu kaufen, so entsteht das Gefühl, dass Ihnen das Produkt bereits teilweise gehört. Sie schätzen nicht nur den Wert des Kochtopfes höher ein, sondern haben gleichzeitig Angst davor, Ihre Treuepunkte zu verlieren – und somit auch die Chance auf den Kochtopf.

Beratungsgespräche mit Produkttest

Der Endowment-Effekt kann sowohl online als auch im stationären Handel umgesetzt werden. In einem Ladengeschäft mit gutem Beratungsservice werden Sie schnell dazu aufgefordert, etwas an- oder auszuprobieren. Indem Sie die Hose, die Ihnen gefällt, anprobieren, sehen Sie jedoch nicht nur, ob Ihnen das Kleidungsstück steht. Gleichzeitig bekommen Sie ein Gefühl dafür, wie es sein kann, die Hose zu besitzen.

Der Kosmetikhersteller Lush bietet in seinen stationären Geschäften an, jedes der Produkte auszuprobieren. Die Körperpeelings oder Badebomben in Aktion zu erleben, vermittelt eine Art Vorahnung auf deren Besitz.

Best-Practice: Wie IKEA den Wert seiner Möbelstücke positiv beeinflusst

Eine besondere Form des Endowment-Effektes hat der Wirtschaftswissenschaftler Michael Norton beschrieben. Als IKEA-Effekt wird das Phänomen bezeichnet, bei dem Menschen einem selbst zusammengebauten Möbelstück, mehr Wert zu sprechen als einem Massenprodukt.

Der schwedische Möbelhersteller ist neben Köttbullar vor allem dafür bekannt, dass die Produkte zu Hause selbst montiert werden müssen. Dadurch, dass Kunden und Kundinnen selbst Hand anlegen, steigt das Wertempfinden für die Möbelstücke. Gleiches lässt sich bei Einzelstücken und Handarbeit beobachten. Hier herrscht der allgemeine Konsens, dass diese Produkte mehr wert sind als Produkte, die industriell gefertigt wurden.

Fazit: Mehr Wert durch Besitztum

Der Endowment-Effekt lässt sich auf eine Formel vereinfachen: Besitz schafft Wert. Entgegen dem rationalen Nutzenmaximieren werden Entscheidungen nämlich nicht immer bewusst oder gar rational getroffen. Zahlreiche Experimente belegen, dass die Kundschaft und Nutzende den Gegenständen, die sie schon besitzen, einen höheren Wert zuschreiben. Probeabos, Coupons oder Produkttests verdeutlichen diesen Effekt und ermöglichen es, diese kognitive Verzerrung im Marketing gezielt anzuwenden.

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Titelbild: Dylan Gillis / unsplash

Ursprünglich veröffentlicht am 24. Februar 2023, aktualisiert am Februar 24 2023

Themen:

Neuromarketing