Wir treffen täglich hunderte Entscheidungen, häufig, ohne uns darüber bewusst zu sein. Überall ergeben sich Situationen, bei denen wir eine Wahl haben. Doch nicht immer entscheiden wir uns für das Richtige: Mal kaufen wir das falschen Produkt, mal verhalten wir uns falsch. Genau dafür gibt es das sogenannte Nudging, mit dem das Verhalten von Menschen unmerklich beeinflusst werden soll.
Wie das funktioniert, wo Nudges nützlich sind und ob die Beeinflussung moralisch vertretbar ist, lesen Sie hier.
Was ist Nudging?
Nudging (engl. für Anstoßen, Anstupsen) schreibt eine Strategie, mit der Menschen zwanglos dazu bewegt werden, sich ganz bestimmt zu verhalten. Ein Nudge kann unterschiedliche Formen annehmen, je nachdem, wie das genaue Ziel aussieht. So können Nudges genutzt werden, um ein Verhalten zu begünstigen, aber auch um dieses zu unterlassen.
Nudging: So entstand das Konzept
Zwar wird das Konzept Nudging im Marketing oft angewandt, seinen Ursprung hat es jedoch in der Verhaltensökonomie. 2008 stellten der Rechtswissenschaftler Cass Sunstein und der Wirtschaftswissenschaftler Richard Thaler das Konzept erstmals in ihrem Buch „Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt” vor.
Der Grundgedanke der beiden US-Amerikaner war die Annahme, dass Menschen in den meisten Fällen von sich aus keine rationalen Entscheidungen treffen. Schon die Entscheidungsfindung an sich stellt für viele ein Problem dar, sobald sie das eigene Leben betrifft. Die Nudges stupsen Verhalten also in die Richtung, die nach Einschätzung der Initiatoren für den Menschen selbst oder die übergeordnete Gesellschaft gut ist.
Welche Arten von Nudges gibt es?
Im Alltag begegnen uns meist folgende zehn Nuding-Beispiele: vorkonfigurierte Standardeinstellungen, Benachrichtigungen, Vereinfachung, soziale Normen, Warnungen, Feedback, erwartete Fehler, Offenlegungen, Bequemlichkeit und Selbstbindungsstrategien.
Und so sehen diese Nudging-Beispiele in der Praxis aus:
1. Vorkonfigurierte Standardeinstellungen
Dieses Nudging-Beispiel ist weit verbreitet und ist sicherlich auch Ihnen schon das ein oder andere Mal begegnet: die Veränderung von Voreinstellungen, auch Defaults genannt. Die vorkonfigurierten Einstellungen sollen Userinnen und Usern den Alltag erleichtern, haben aber auch Vorteile für die Hersteller, etwa beim Datensammeln. Bekannt ist das vor allem durch die Smartphone-Nutzung. Ein Nudge kann auch in herkömmlichen Druckern implementiert sein, indem Seiten automatisch beidseitig bedruckt werden, um Papier zu sparen.
Diese Form von Opt-Out finden Sie nicht nur im Digital Nudging, sondern auch in der analogen Welt. So ist beispielsweise in Österreich jeder Mensch automatisch Organspender oder -spenderin, sofern dies nicht proaktiv abgelehnt wurde. Auch dies ist eine Art Voreinstellung!
2. Benachrichtigungen
Auch Benachrichtigungen von Smartphone, Tablet oder Computer sind Nudges. Sie erinnern beispielsweise an Termine im Kalender, anstehende Meetings oder ungelesene E-Mails. Diese Erinnerungen gibt es natürlich nicht nur digital, sondern sind beispielsweise auch in Plakatform in den Straßen zu finden, wo sie anstehende Events präsentieren.
3. Vereinfachung
Warum kompliziert, wenn es auch einfach geht? Nudging kann dazu beitragen, komplexe Inhalte herunterzubrechen und so zugänglicher zu machen. Durch einfache Sprache werden beispielsweise Verträge verständlicher, auch der Nährstoffgehalt von Produkten wird durch das Ampelsystem simplifiziert. Damit unterstützt die Vereinfachung bei der Entscheidungsfindung, indem sie konkrete Informationen bietet.
4. Soziale Normen
Nudges, die im sozialen Kontext vorkommen, zielen darauf ab, Menschen zu einem Verhalten zu bewegen, das bereits bei einem Großteil der anderen Menschen Norm ist oder aber dem Wohle der Gesamtgesellschaft dient. Im Theater oder Kino beispielsweise verhalten wir uns während Vorstellungen in der Regel möglichst leise, um andere Zuschauende nicht zu stören. Spricht jemand lauter als gewöhnlich, bekommt die Person prompt böse Blicke oder ein „Psst!“.
5. Warnungen
Auch Warnungen, etwa an einer frisch gestrichenen Bank, zählen zu Nudges. Sie verhindern keineswegs das Verhalten, also dass sich jemand auf die noch nasse Farbe setzt, sondern klären auf und sollen dem Wohle der Personen dienen.
6. Feedback
Auch im Straßenverkehr können Nudges die Teilnehmenden zu einem gewünschten Verhalten lenken. So sind beispielsweise Smilies mit Geschwindigkeitskontrolle eine Möglichkeit, um den Fokus auf die Fahrweise zu richten. Die positive Belohnung durch ein Lachgesicht verstärkt den Nudging-Effekt.
7. Erwartete Fehler
Menschen machen Fehler, das ist unvermeidbar. Nudges können dabei helfen, zu erwartenden Fehlern vorzubeugen. Beispielsweise erhalten Sie Ihre Bankkarte am Automaten erst, wenn Sie das Geld entnommen haben. Grund dafür ist, dass Menschen dazu tendieren, ihre Karte stecken zu lassen, wenn sie das Geld bereits erhalten haben.
8. Offenlegung
Die Offenlegung sämtlicher Informationen zu einem Produkt oder einer Dienstleistung ermöglicht es den Konsumenten, eine fundierte Entscheidung zu treffen. Konkrete Angaben, die zur genaueren Beschreibung beitragen, ermöglichen damit einen Vergleich unterschiedlicher Angebote. Die Offenlegung soll dazu anhalten, mehr Vertrauen aufzubauen – die Transparenz wird also als eine Art Framing genutzt.
9. Bequemlichkeit
Der Zugang zu Informationen, Dienstleistung oder Produkten sollte möglichst hindernisfrei sein. Produkte auf Augenhöhe werden am häufigsten gekauft, da intuitiv der kürzeste Weg gewählt wird. Supermärkte und andere Geschäfte können durch das Neuromarketing bewusst Produkte im Sichtfeld der Einkäuferinnen und Einkäufer platzieren, um deren Kaufkraft zu erhöhen.
10. Selbstbindungsstrategien
Auch wir selbst können uns durch einen Nudge in die gewünschte Richtung weisen. So helfen feste Zeiten und regelmäßige Termine, um die nötige Disziplin für Sport zu bekommen. Das vorab eingegangene Commitment hilft dabei, den erstrebten Weg zu verfolgen.
Ist Nudging Manipulation?
Strenggenommen ist Nudging Manipulation, weil das Verhalten der Menschen von außen in eine Richtung gelenkt werden soll. Das muss aber per se nichts Schlechtes sein, insbesondere wenn die Manipulation zum Wohle der Gemeinschaft erfolgt und beispielsweise mehr Rücksicht erzielen soll.
Nudging-Kritik bezieht sich jedoch häufig auf den freien Willen der Menschen, der durch Manipulation beschnitten wird. Ob ein Nudge hilfreich oder schädlich ist, lässt sich durch drei Fragen klären:
1. Was ist der Beweggrund?
Nudging ist dann sinnvoll und effizient, wenn es genutzt wird, um ein positives Verhalten hervorzurufen, das dem Menschen oder der Gemeinschaft dient. Eine Positionierung von gesunden Lebensmitteln auf Augenhöhe ist daher ein positiver Nudge, der Süßkram an der Kasse ein negativer.
2. Ist die Beeinflussung transparent?
Häufig ist Nudging transparent, da der Hinweis oder die Absicht offensichtlich ist. Bei Warnungen auf Zigaretten ist es für Konsumierende eindeutig, dass die Bilder und Fakten vom Konsum abschrecken sollen. Durch Transparenz hingegen können selbstbewusste Entscheidungen getroffen werden, die nicht einer Manipulation zugrunde liegen.
3. Wie sieht der Kontext aus?
Der Kontext spielt eine wichtige Rolle, um festzustellen, ob ein Nudge positiv oder schädlich ist. So kann Nudging im Marketing hilfreich sein, um die passende Kaufentscheidung zu treffen, weil schlicht ausreichend Informationen zur Verfügung gestellt wurden. Im medizinischen Bereich aber ist eine Beeinflussung, beispielsweise durch Pharmakonzerne oder im Digital Nudging beim Datenschutz durch Cookie-Banner, die die Freigabe sämtlicher Informationen erschleichen wollen, problematisch, da sie das persönliche Wohlempfinden und das Recht auf Privatsphäre gefährden.
Fazit: Nudging ist überall – lernen Sie es einzusetzen!
Wir alle treffen Nudging täglich an. Einige der oben genannten Beispiele sind Ihnen in Ihrem Alltag sicher schon öfter begegnet, möglicherweise waren Sie sich der Beeinflussung durch die Werbepsychologie auch bewusst.
Das Konzept ist daher hilfreich, um Menschen bei der analogen und digitalen Entscheidungsflut zu unterstützen – nehmen Sie jedoch die Nudging-Kritik ernst. Sofern das Wohlwollen im Vordergrund steht, ist Nudging also unproblematisch. Es können nicht nur bessere, sondern auch schnellere Entscheidungen getroffen werden.
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