Meister und Auszubildende, Lehrerin und Schüler, Mentor und Mentee – häufig findet sich bei diesen Konstellationen das Bild von einer älteren Person, die lehrt, und einer jüngeren, die lernt. Dabei kann diese Gleichung auch auf den Kopf gestellt werden: Beim Reverse Mentoring schult der junge Mensch den älteren. Wie das funktioniert und warum das Ihr Unternehmen bereichert, erfahren Sie in diesem Artikel.
Was ist Reverse Mentoring? Eine Definition
Kerngedanke beim Reverse Mentoring ist der Rollentausch zwischen Jung und Alt. Im Gegensatz zum traditionellen Mentoring übernimmt dabei die jüngere Person den Part des Coaches oder der Coachin. Die ältere und häufig ranghöhere Person wird dabei zum Schüler oder zur Schülerin.
Jack Welch, ehemaliger CEO des amerikanischen Konzerns General Electric, gilt als geistiger Vater dieses Konzepts. Er forderte bereits in den 90er-Jahren seine Top-Führungskräfte auf, jüngere Mentorinnen und Mentoren zu finden, die ihnen das Internet nahebringen sollten.
Warum Reverse Mentoring gut für Ihr Unternehmen ist?
Reverse Mentoring führt nicht nur zu einem verstärkten Wissens- und Erfahrungstransfer im Unternehmen, sondern überbrückt auch Generations- und Hierarchiegrenzen. Der gegenseitige regelmäßige und organisierte Austausch birgt die Chance, innerhalb des Unternehmens zu einem kommunikationsstarken und harmonischen Miteinander zu finden, von dem alle Mitarbeitenden profitieren können.
Hemmschwellen zwischen den Generationen werden leichter abgebaut. Berufseinsteigerinnen, Auszubildende und Quereinsteiger müssen dadurch weniger Hürden nehmen, um mit der Chefetage zu kommunizieren – und umgekehrt. Führungskräfte nehmen auf diese Weise auch die Stimmung im Unternehmen besser wahr.
Die ältere Generation bekommt Gelegenheit, sich mit der Lebenswelt der jüngeren vertraut zu machen. Für Ihr Unternehmen kann das eine Verbesserung der Unternehmenskultur bedeuten, wenn es mehr Verständnis für gewisse Verhaltensweisen untereinander gibt. Auch die Progressivität des Unternehmens können Sie durch das Konzept unterstützen.
Durch den organisierten Austausch steigt oft die gegenseitige Wertschätzung der Mentoring-Partner und -Partnerinnen. Zusätzlich findet ein Lernprozess für alle statt: Ältere profitieren von neuen Ideen der Jüngeren, diese wiederum von der Erfahrung der Alteingesessenen.
Voraussetzungen für umgekehrtes Mentoring
Trotz aller Vorteile besitzt die besondere Konstellation von Mentor und Mentee auch Konfliktpotenzial. Nicht alle Meister lassen sich bereitwillig von ihren Azubis belehren. Und welcher Quereinsteiger möchte die Ausbilderin durch vermeintliche Besserwisserei verärgern?
Die Angst vor Autoritätsverlust sowie Vorurteile sind beim Reverse Mentoring jedoch fehl am Platz. Offenheit und Lernbereitschaft auf beiden Seiten sind die wichtigsten Grundvoraussetzungen. Darüber hinaus sollte sich das Mentoring-Tandem sympathisch sein und sich gegenseitig vertrauen. Freiwilligkeit ist ebenfalls notwendig, denn niemand darf dazu gezwungen werden.
Die Länge und Häufigkeit der Treffen sollten vorab festgelegt werden, ebenso die Örtlichkeit und weitere Bedingungen. Ist das Programm unbefristet oder zeitlich begrenzt? Ein Zeitraum von etwa drei bis sechs Monaten hat sich in der Praxis bewährt.
Das Programm steht und fällt mit der Beteiligung des Managements. Besonders zu Beginn ist es von Vorteil, wenn sich ein Entscheidungsträger als Mentee zur Verfügung stellt und damit ein Vorbild für alle abgibt.
Kündigen Sie eine Evaluation an und führen Sie diese wirklich durch. Nutzen Sie die Ergebnisse, um Ihr Wissensmanagement zu verbessern.
Beispiele für Reverse Mentoring
Unbestreitbar gibt es in unserer hoch technisierten Welt Themen, bei denen sich jüngere Mitarbeitende besser auskennen als ältere. Digital Natives beispielsweise sind mit dem Internet und Social Media aufgewachsen. Ihre Kompetenzen auf diesen relevanten Gebieten können Sie für den generationsübergreifenden Wissenstransfer im Unternehmen nutzen. Eine Vielzahl von Themen bietet sich für das Reverse Mentoring an:
Software oder Apps
Jüngere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bei diesem Thema in der Regel fit. Ihnen fällt es häufig leichter, sich in neue Programme und Tools einzuarbeiten. Nutzen Sie diese internen Kompetenzen.
Onlinevertrieb
Je nach Produkt und Zielgruppe kann die junge Generation den Horizont der Älteren mit ihrem Sales-Wissen in diesem Bereich erweitern. Entscheidungsträgerinnen bekommen so neue Ideen für Vertriebsmöglichkeiten.
Social-Media-Marketing
Content auf Facebook, Instagram oder TikTok – was jungen Leuten selbstverständlich erscheint, ist für viele Menschen der älteren Generation noch immer ein Novum. Nutzen Sie den Austausch hier nicht nur für Fragen zum technischen Verständnis, sondern auch zu Trends und Interessen. Schließlich weiß niemand besser als die Zielgruppe selbst, was auf den Plattformen beliebt ist.
Neue Recruitingmethoden
Gute Kandidaten und Kandidatinnen zu finden und zu halten, ist heutzutage nicht leicht. Jüngere Mitarbeitende kennen womöglich Jobportale oder Recruitingmethoden, die auf neuen Ansätzen basieren und Fachkräfte auf moderne Art und Weise ansprechen. Außerdem können sie gegebenenfalls aus eigener Erfahrung aufzeigen, was beim Recruitingprozess besser laufen könnte.
Workflow
„Das haben wir immer schon so gemacht“ ist kein Garant für einen guten Workflow. Etablierte Strukturen sind zwar nicht zwingend schlecht, allerdings kann frischer Wind nie schaden. Unterschätzen Sie daher nicht die Ideen Ihrer jungen Mitarbeitenden zu Arbeitsorganisation, Arbeitsprozessen und -strukturen.
Mitarbeitermotivation
Eine gute Belegschaft, die loyal hinter Ihrem Unternehmen und seinen Zielen steht, ist wichtig für den Unternehmenserfolg. Mentorin und Mentee können gemeinsam im Dialog erarbeiten, was sie von ihrem Arbeitgeber erwarten, um sich langfristig an das Unternehmen zu binden.
Reverse-Mentoring-Konzept: So setzen Sie das Programm um
Für die Implementierung des Mentorings hat sich ein planvolles Vorgehen bewährt. Entwerfen Sie einen grundlegenden Leitfaden, der sich an den Zielen und Werten Ihres Unternehmens orientiert. Benennen Sie einen oder zwei übergeordnete Ansprechpartnerinnen oder Ansprechpartner. Gemeinsam akquirieren Sie geeignete Mentoren sowie Mentees und führen sie in das Programm ein. Setzen Sie dafür ein Kick-Off-Meeting an. Hier besprechen alle Teilnehmenden die Ziele, Erwartungen und den Ablauf.
Nun wird es konkret: Bei den eigentlichen Treffen findet dann idealerweise ein konstruktiver und interessanter Erfahrungs- und Wissensaustausch statt. In welchen Intervallen diese Meetings stattfinden, kann von Gruppe zu Gruppe unterschiedlich sein und muss erst einmal ausgetestet werden. Der Leitfaden sollte daher flexibel bleiben und an aktuelle Umstände und Änderungswünsche angepasst werden können.
Dokumentieren und evaluieren Sie das Programm. Daran können Sie den Erfolg messen. Kommunizieren Sie das bestenfalls positive Ergebnis innerhalb der Belegschaft, aber sprechen Sie auch transparent über Herausforderungen, die aufgetreten sind.
Übergeordnet können Sie eine Reverse-Mentoring-Community ins Leben rufen. Sie dient den jungen Mentoren zum Austausch und als Akquiseplattform für neue Teilnehmerinnen.
Fazit: Reverse Mentoring stärkt die Unternehmenskultur
Konsequent organisiert kann das Reverse Mentoring ein wichtiges Werkzeug darstellen, um die Unternehmenskultur, die interne Kommunikation, das Arbeitsklima und den Wissensaustausch hierarchie- und generationsübergreifend zu fördern. Als Führungskraft zeigen Sie Ihren jungen Mitarbeitenden, dass Sie sie ernst nehmen. Damit kann das Konzept auch ein potenzieller Baustein für die Sicherung der Zukunftsfähigkeit von Unternehmen sein.
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