Frauen kaufen immer Schuhe, Männer verbringen ihre Freizeit am liebsten im Baumarkt. Nicht alle Menschen finden solche Rollenklischees lustig, denn sie bedienen Vorurteile, die oft mehr schaden als nützen können. Als Marketerin oder Marketer tun Sie gut daran, dem diverseren Gender-Bewusstsein in Ihren Werbebotschaften Rechnung zu tragen.

Um Sie dabei zu unterstützen, erfolgreiches Gender-sensibles Marketing ohne längst überholte Stereotype zu betreiben, erfahren Sie hier alles Wichtige zum Thema Gender Marketing.

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Gender ist ein englischer Begriff für Geschlecht. Doch Gender und Geschlecht sind nicht das Gleiche. Das englische Lehnwort „Gender“ bezieht sich auf die soziale und gesellschaftliche Dimension von Geschlecht. Auch das gefühlte und gelebte Geschlecht ist mit „Gender“ gemeint.

Im Deutschen hat sich der Begriff „Gender“ eingebürgert, um eine sprachliche Unterscheidung zwischen dem biologischen Geschlecht und dem sozialen Geschlecht, eben dem „Gender“, treffen zu können. Das englische „sex“ dagegen bezeichnet das biologische Geschlecht bei der Geburt.

Was ist das Ziel von Gender Marketing?

Beim Gender Marketing, im Englischen auch Gender-based Marketing, geht es weniger darum, Produkte und Dienstleistungen anzubieten, die nur für ein bestimmtes Geschlecht geeignet sind. Vielmehr basiert die Marketingstrategie auf Verhaltensunterschieden zwischen Frauen und Männern und gesellschaftlich geprägten Geschlechterrollen.

Gender, also das soziale Geschlecht, wird in diesem Sinne als Zielgruppe verstanden, die in männliche und weibliche Buyer Personas unterteilt werden kann. Das Ziel von Gender Marketing ist es, geschlechtsspezifische Eigenschaften und Bedürfnisse in Werbebotschaften zu berücksichtigen.

Gender Marketing: Ein Exkurs in die Entstehung

Obwohl bestimmte Produkte wie Kleidung in Werbekampagnen schon lange stereotyp vermarktet werden, begann das bewusste Gender Marketing, wie wir es heute kennen, erst in den 1990ern. Das Konzept fand erstmals in den USA Anwendung, als durch die strategische Entwicklung und Vermarktung blauer und pinker Spielwaren und Klamotten gezielt männliche oder weibliche Zielgruppen angesprochen wurden.

Die Rosa-Hellblau-Falle kam nach der Jahrtausendwende auch in Deutschland an und bestimmt seither weltweit Produktdesigns und Werbespots. Vor allem durch die stereotype Vermarktung von Produkten für Kinder werden das Kaufverhalten und das Denken in Rollenbildern früh beeinflusst.

Was spricht gegen Gender Marketing?

Der größte Kritikpunkt von Gender Marketing ist, dass es Rollenklischees reproduziert und dazu beiträgt, sie weiter zu festigen. Denn die Grundlage der Marketingstrategie sind keine biologischen Unterschiede, sondern stereotype Eigenschaften und Verhaltensweisen, die Personen lediglich aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht zugeschrieben werden.

Hinzu kommt, dass durch die Unterscheidung in eine weibliche oder männliche Zielgruppe zahlreiche Geschlechtsidentitäten ausgeschlossen werden.

Im Wesentlichen bietet Gender Marketing folgende Nachteile beziehungsweise Kritikpunkte:

Überholte Rollenklischees und Gender-Stereotypen

Zu Gender-bedingten Stereotypen gehören sowohl Äußerlichkeiten als auch Verhaltensweisen. Dominanz und ausladende Gesten, wie das breitbeinige Gehen, gelten beispielsweise als typisch männlich. Bei Frauen wird dominantes Verhalten dagegen häufig „nicht so gerne gesehen“, denn es entspricht nicht dem gesellschaftlich vorherrschenden, Gender-bedingten Stereotyp von Weiblichkeit.

Neben Rollenklischees sind feste Vorstellungen davon, welche Rolle jemand abhängig vom Gender im sozialen Umfeld zu spielen hat. Sie werden von traditionellen Geschlechterrollen geformt, die häufig längst überholt sind. In früheren Zeiten galt beispielsweise, dass Frauen für „Kinder, Küche, Kirche“ zuständig sind, und der Mann „ins feindliche Leben“ geht, um den Unterhalt zu verdienen.

Auch das immer wieder einmal zitierte „Kind im Manne“ ist ein Rollenklischee, das auf die verspielte Seite des männlichen Geschlechts abzielt. Das „Kind in der Frau“ gibt es dagegen nicht. Zeitgemäße Marketingstrategien schaffen es, eingefahrene Rollenklischees zugunsten von mehr Vielfalt in der Gesellschaft abzuschütteln.

Binäre Sichtweise: Die übersehene Zielgruppe

Gender Marketing birgt nicht nur die Gefahr, überholte und diskriminierende Rollenklischees zu bedienen, es wird oftmals auch der Vielfalt an Geschlechtern nicht gerecht. Seit 2018 erkennt das deutsche Recht die dritte Geschlechtsoption „divers“ an, die Personen eintragen lassen können, die sich nicht mit den binären Geschlechtern Mann und Frau identifizieren können. Nicht-binäre Geschlechtsidentitäten werden im Zuge des Gender Marketings dennoch häufig übersehen.

Gender Pricing

Gender Marketing geht häufig mit Gender Pricing einher. Unter Letzterem wird die geschlechtsbasierte Preisdifferenzierung verstanden, also die unterschiedliche Bepreisung derselben beziehungsweise ähnlicher Produkte für eine weibliche oder eine männliche Zielgruppe.

Gender Pricing wirkt sich besonders für Frauen oftmals nachteilig aus. So zahlen sie etwa für Pflegeprodukte wie Rasierer oder Parfüms häufig deutlich mehr als Männer für äquivalente Produkte. Dieser Mehrpreis wird auch als „Pink Tax“ bezeichnet und steht zunehmend in der Kritik.

Negative Beispiele: Gender Marketing gone wrong

Wenn Stereotype dazu führen, dass sich Zielgruppen übersehen oder sogar negativ dargestellt fühlen, hat die Marketingmaßnahme ihr Ziel verfehlt. Seit 2017 wird mit dem Goldenen Zaunpfahl ein Negativpreis verliehen, der kritisch auf sexistische und stereotype Werbebotschaften und Produkte verweist. Folgende Beispiele zeigen, wie Sie es lieber nicht machen sollten:

Gillette: Unbehaarte Beine rasieren

Körperbehaarung ist universell, gehört aber zu den primären Geschlechterstereotypen, die im Marketing reproduziert werden. Vor allem Achsel- und Beinbehaarung von Frauen wird als unerwünschter Anblick diffamiert und in Marketingkampagnen nicht nur wegrasiert, sondern retuschiert.

Der Hersteller Gillette geht dabei so weit, die weiblichen Models ohne Beinbehaarung zu inszenieren, während sie diese scheinbar entfernen sollen. Von weiblich gelesenen Menschen wird damit eine körperliche Perfektion erwartet, die mit natürlichen Gegebenheiten nicht vereinbar ist.

Bibi und Tina: Klischeehafte Avatare

2022 erhielt die Bibi-und-Tina-App “Reiterferien” den goldenen Zaunpfahl. Mit ihrer Beschränkung auf weibliche Avatare grenzt die Applikation Jungen und nicht-binäre Kinder aus und stärkt somit das Klischee, dass Pferde und Reiten ein Hobby ist, das nur Mädchen interessiert.

Gender-neutral Marketing: Gelungene Beispiele und Best Practices

Gender Marketing ja, Sexismus nein. Um dem veränderten Gender-Bewusstsein der Menschen und der Vielfalt an Geschlechtsidentitäten gerecht zu werden, haben sich Konzepte wie Gender-neutral Marketing oder Post-Gender Marketing etabliert, die mit Geschlechterstereotypen brechen.

Dass das Marketing im Hinblick auf Gender-Stereotypen und Rollenklischees neue Wege beschritten hat, ist aber bereits seit einigen Jahren sichtbar. Anreize dafür schafft etwa der Verein Pinkstinks, der sich gegen Stereotype und Sexismus in der Werbung einsetzt. Er vergibt als Positivpreis den Pinken Pudel für Werbung in Deutschland.

Im Jahr 2021 ist der Preis erstmals nach London gegangen, für den Film „What We Do Next“ im Auftrag der Deutschen Telekom. Eine Gender-gemischte Gruppe junger Berühmtheiten, wie beispielsweise Billie Eilish und Fabian Grischkat, stehen dort für eine gleichberechtigte Generation Z, die sich entschieden für eine nachhaltige Zukunft ohne Sexismus einsetzt.

Die folgenden Beispiele zeigen, wie gelungenes Gender-sensibles Marketing aussehen kann:

Levi’s: Körperliche Vielfalt im e-Commerce

Besonders in der Werbung von Bekleidungsmarken dominieren nach wie vor häufig stereotype Idealvorstellungen von Mann und Frau. Kleidung wird klassischerweise an schlanken und durchtrainierten Models präsentiert, die häufig nicht der Realität der meisten Menschen entsprechen.

Die Marke Levi’s bricht durch die Darstellung unterschiedlicher Körpertypen nicht nur mit bestehenden Marketingnormen. Sie verbessern gleichzeitig das Einkaufserlebnis für Kundinnen und Kunden, indem gleiche Produkte an Models mit unterschiedlichen Konfektionsgrößen vorgestellt werden.

Dove: Individualität und Diversität

Die Marke Dove schlägt einen ähnlichen Weg wie Levi’s ein. Die beworbenen Pflegeprodukte werden nicht nur von einer durchschnittlichen Frau oder einem Mann, sondern gleich von einer ganzen Gruppe ganz unterschiedlicher Individuen vorgeführt. Auf diese Weise spiegelt das Unternehmen die Geschlechter-Diversität und Individualität der Menschen wider, wodurch die Werbung realistischer und zugänglicher wird.

Bosch: Gender-Klischees umgedreht

Handwerk und Technik sind Männersache? Frauen haben keine Ahnung von Werkzeug? Von wegen. Der Hersteller Bosch zeigt, wie auf humorvolle Weise mit solchen diskriminierenden und überholten Stereotypen gebrochen werden kann.

In einem Werbespot, der einen Akkuschrauber der IXO-Kollektion vorstellt, werden die Rollenbilder einfach umgedreht: Ein hilfloser Mann ist bei diversen Reparaturen und DYI-Projekten auf die handwerkliche Unterstützung seiner Nachbarin angewiesen. Obwohl die IXO-Produktserie ursprünglich die Kaufentscheidung von Frauen motivieren sollte, ist sie durch ihr handliches Produktdesign auch bei vielen Männern beliebt.

Milk Make-up: Schminke für alle Geschlechter

Die US-Kosmetikmarke Milk Make-up war eine der ersten, die die Vermarktung von Schminkprodukten an eine ausschließlich weibliche Zielgruppe in Frage stellte.

2017 wandte sich das Label mit seiner „Blur the Lines“-Kampagne bewusst an Männer und nicht-binäre Menschen. Die Marke engagierte sieben Models verschiedener Geschlechter und sexueller Orientierungen, um mit Klischees hinsichtlich der Verwendung von Make-up zu brechen.

Tipps: So bietet Gender-sensibles Marketing viele Vorteile

Wie können Unternehmen von Gender-basiertem Marketing profitieren? Richtig angewandt bieten Gender-Marketingmaßnahmen viele Vorteile. Das Kaufverhalten der verschiedenen Geschlechter unterscheidet sich durchaus und die gezielte Segmentierung ermöglicht eine differenzierte Ansprache in allen Phasen der Customer Journey.

Die obigen Beispiele zeigen allerdings, dass Unternehmen mit Gender-basierten Werbemaßnahmen auch leicht in Fettnäpfchen treten und Shitstorms ernten können. Um das zu vermeiden, helfen Ihnen folgende Tipps für Gender-sensibles Marketing:

  • Kein „Pink it, shrink it“: Nutzen Sie Gender-Marketingmaßnahmen nur für Produkte und Dienstleistungen, die auch tatsächlich Gender-spezifische Vorteile bieten.
  • Passen Sie Ihre Buyer Personas kontinuierlich an aktuelle Gegebenheiten und sich verändernde Kundenbedürfnisse an.
  • Bedienen Sie keine veralteten und langweiligen Klischees.
  • Berücksichtigen Sie sowohl in der Produktentwicklung als auch in der Werbung die Individualität der Menschen, weder alle Männer noch alle Frauen sind gleich.
  • Denken Sie nicht nur binär und gestalten Sie Ihr Gender Marketing divers.

Fazit: Gender Marketing entspricht dem Zeitgeist

Gender Marketing, also die Einteilung der Zielgruppen in Männer und Frauen, muss heute ganz anders gedacht werden. Für einige Produkte ist die Kategorisierung nicht nur sinnvoll, sondern notwendig. Wer die eigene Marketingstrategie dabei jedoch auf überholte Rollenklischees stützt, wird damit wenig Erfolg haben. Stattdessen sollten Sie Individualität und Vielfalt berücksichtigen. Ansätze wie Gender-neutral Marketing und Post Gender Marketing sind hier richtungsweisend.

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Titelbild: Photoboyko / iStock / Getty Images Plus

Ursprünglich veröffentlicht am 12. Juli 2023, aktualisiert am Juli 12 2023

Themen:

Marketing & Werbung