Eine Gesellschaft ist vielschichtig. Menschen sind zwar nicht alle gleich, sie lassen sich aber anhand ähnlicher Charaktereigenschaften in bestimmten Gruppierungen zusammenfassen. Ein Begriff fällt in diesem Zusammenhang besonders oft: Sinus-Milieus. Doch was bedeutet das genau und welche Rolle spielen Sinus-Milieus bei der Suche nach Ihrer perfekten Zielgruppe? Hier mehr dazu.
Was sind Sinus-Milieus?
Sinus-Milieus dienen der sozialwissenschaftlichen Gesellschaftsanalyse. Das Modell teilt die Menschen einer bestimmten geografischen Region – beispielsweise Deutschland – anhand sozialer Merkmale und ihrer Lebenseinstellung in verschiedene Gruppen ein. Sinus-Milieus wurden Anfang der 1980er-Jahre vom Sinus-Institut entwickelt.
Welche Sinus-Milieus gibt es?
Das aktuelle Sinus-Milieu-Modell teilt die deutsche Bevölkerung in zehn Gruppen auf: Traditionelle (10 Prozent der Menschen), Konservativ-Gehobene (11 Prozent), Nostalgisch-Bürgerliche (11 Prozent), Prekäre (9 Prozent), Postmaterielle (12 Prozent), Adaptiv-Pragmatische (12 Prozent), Konsum-Hedonistische (8 Prozent), Performer (10 Prozent), Expeditive (10 Prozent) und Neo-Ökologische (8 Prozent).
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Sinus-Milieus: Erklärung des Modells
Doch wozu wird die Bevölkerung überhaupt in zehn Gruppen aufgeteilt? Die Antwort auf diese Frage stammt aus der Wissenschaft: Die Sinus-Milieus helfen, die Bevölkerung besser kategorisieren und verstehen zu können. Gleichzeitig wird diese Kategorisierung bereits von Anfang an überwiegend im strategischen Marketing genutzt.
Entscheiderinnen und Entscheidern haben zur Aufgabe, eine heterogene Masse an Menschen einzuordnen, um so genau die Zielgruppen zu ermitteln, für die ein Produkt oder eine Dienstleistung interessant sind. Mit den Sinus-Milieus haben Marketing-Verantwortliche ein Werkzeug, das eine detailliert erforschte Einteilung anhand bestimmter Merkmale liefert.
Sinus-Milieus in der Theorie
In der theoretischen Grundüberlegung werden die zehn Sinus-Milieus in drei übergeordnete Gruppen anhand ihrer sozialen Lage kategorisiert:
- Obere Mittelschicht / Oberschicht
- Mittlere Mittelschicht
- Untere Mittelschicht / Unterschicht
Weiter findet sich eine Einordnung nach ihrer Grundorientierung, wie ein offizielles Schaubild des Sinus-Instituts zeigt.
Quelle: Screenshot SINUS-Institut
Hier findet ebenfalls eine Einteilung nach drei primären Merkmalen statt:
- Tradition (Pflichterfüllung, Ordnung)
- Modernisierung (Individualisierung, Selbstverwirklichung, Genuss)
- Neuorientierung (Multioptionalität, neue Synthesen)
Entlang dieser zwei Achsen und Ausprägungen werden die Milieus gebildet und je nach Forschungsstand angepasst.
Sinus-Milieus im Marketing
Für jedes Sinus-Milieu gibt es eine detaillierte Beschreibung mit Eigenschaften, Werten und Verhaltensmustern. Das macht das Modell im Marketing so spannend.
So können Sie beispielsweise anhand dieses Zielgruppenmodells sich auf eine bestimmte Gruppe von Menschen in der Vermarktung Ihrer Leistungen konzentrieren – ohne selbst eine umfangreiche Kundenanalyse durchführen zu müssen.
Digitale Sinus-Milieus
Als die Sinus-Milieus erstmalig vor rund 40 Jahren vorgestellt wurden, war der flächendeckende Zugang zum Internet in weiter Ferne. Das Sinus-Institut trägt dieser Entwicklung Rechnung und hat die digitalen Sinus-Milieus eingeführt.
Vor allem im Online-Marketing ist dieser Ansatz für Marketing-Verantwortliche spannend, da sich entsprechende Kampagnen zielgerichtet anhand der digitalen Milieus ausrichten lassen. Diese basieren auf den gleichen zehn Milieus, fassen diese aber unter anderen Gesichtspunkten zusammen.
Performer und Adaptiv-Pragmatische gelten beispielsweise als versiert. Sie kombinieren Online und Offline mit einer großen Selbstverständlichkeit und sind dabei sehr effizienzorientiert. Rund 23 Prozent der Deutschen sind demnach online versiert.
Vorteile von Sinus-Milieus
Egal, ob offline oder digitale Sinus-Milieus: Worin liegen die Vorteile der Kategorisierung? Sie erhalten für Ihr Marketing eine auf einer breiten Datenmasse basierende, ausführlich analysierte Einteilung der gesamten deutschen Bevölkerung in zehn distinkten Gruppen. Dabei werden Merkmale wie Alter und Kaufkraft berücksichtigt.
Die Analyse geht in die Tiefe und gibt Einblicke in Interessen, Lebensweisen, Konsumverhalten und viele weitere für Ihr Marketing relevante Kennzeichen. So treffen Sie Ihre Zielgruppen anhand des Sinus-Milieus genauer und bedienen die zentralen Touchpoints entlang der Customer Journey Ihrer potenziellen Kundinnen und Kunden.
Dabei werden die Daten laufend aktualisiert und über die Homepage des Sinus-Instituts zugänglich gemacht. Das erleichtert Ihre Recherchearbeiten enorm. Zudem gibt es eine Fülle an wissenschaftlicher Literatur, die sich seit Langem mit dem Modell auseinandersetzt.
Nachteile von Sinus-Milieus
Inwiefern die Sinus-Milieus aus soziologischer Sicht ein bestmögliches Abbild der Gesellschaft sind, wird kritisch gesehen. Die Dimensionen, nach denen die Milieus definiert werden, decken nicht alle Parameter ab, die wissenschaftlich – oder werblich – wichtig sein können.
Aus Marketing-Sicht gibt es daneben besonders für kleinere Unternehmen ein Problem: der Preis für die relevanten Insights. Die Informationen sind zwar öffentlich zugänglich. Wenn Sie sich jedoch in der Tiefe für die Zielgruppen im Sinus-Milieu und damit mögliche Zielgruppen interessieren, werden mindestens 1.550 Euro fällig. Weitere Pakete mit noch mehr Insights kosten extra – zwischen 750 und 1.950 Euro. Ob sich das finanziell mehr lohnt als die eigene Recherche, müssen kleinere Firmen akribisch durchrechnen.
Beispiele aus der Praxis für Sinus-Milieus
Die zehn Milieus weisen allesamt unterschiedliche Merkmale auf – einige Beispiele zum besseren Verständnis:
- Traditionelles Milieu: Ältere Generation, die für Sicherheit und Ordnung einsteht, traditionelle Arbeiterkultur
- Konservativ-Gehobenes Milieu: Alte, strukturkonservative Elite, die sich Ordnung und Balance wünscht sowie Exklusivitäts- und Statusansprüche erhebt
- Nostalgisch-Bürgerliches Milieu: Harmonie-orientierte Mitte, die sich Sicherheit und einen angemessenen Status wünscht, gleichzeitig aber Angst vor Überforderung und sozialem Abstieg hat
- Prekäres Milieu: Unsichere Unterschicht, die sich um Orientierung und Teilhabe bemüht und den Lebensstandard der Mitte haben will
- Postmaterielles Milieu: Engagierte, souveräne Bildungselite, der Nachhaltigkeit, Selbstbestimmung und Diversität wichtig sind
- Adaptiv-Pragmatische Mitte: Auch als „moderner Mainstream“ bezeichnet, anpassungs- und leistungsbereit, wollen dazugehören, sind gleichzeitig unzufrieden und verunsichert aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung
- Konsum-Hedonistisches Milieu: Untere Mitte, die auf Konsum, Spaß und das Hier und Jetzt fokussiert ist, hohes Geltungsbedürfnis, lehnt übermäßige Political Correctness ab
- Milieu der Performer: Liberale Leistungselite, die sehr effizient und fortschrittlich ist sowie digitalorientiert und globalökonomisch
- Expeditives Milieu: Kreative Oberschicht, urban, hip, digital und mit ausgeprägter Selbstdarstellungskompetenz
- Neo-Ökologisches Milieu: Aus ihrer Sicht progressive Realisten, die die globale Transformation vorantreiben, pragmatisch und problemerkennend, leben umwelt- und klimasensibel
Anhand dieser Einschätzungen und praxisnaher Merkmale können Sie die Sinus-Milieus für Ihre Marketing-Zwecke passgenau nutzen, etwa wenn Sie Buyer-Personas erstellen oder wichtige Kundenmomente identifizieren wollen – den sogenannten Moment of Truth.
Fazit: Sinus-Milieus sind nicht nur in Deutschland gefragt
Im bisherigen Artikel wurden die Sinus-Milieus für die deutsche Bevölkerung vorgestellt. Wer beispielsweise mit seinen Produkten und Dienstleistungen nach Österreich oder in die Schweiz expandiert, wird ebenfalls fündig: Das Sinus-Institut bietet für die deutschen Nachbarländer entsprechende Milieus an.
Auch über die deutschsprachigen Grenzen hinaus gibt es Unterlagen, beispielsweise zu Emerging Marketing, also Schwellen- und Entwicklungsländern. Die soziologische Kategorisierung hilft Marketingverantwortlichen bei der Identifikation Ihrer Zielgruppe(n) – und das ohne aufwendige Kundenbefragungen oder Marktanalysen.
Titelbild: ozgurdonmaz / iStock / Getty Images Plus