Die Digitalisierung verändert nicht nur die Möglichkeiten im Marketing, sondern resultierend daraus auch die Zusammenarbeit von Unternehmen mit externen Agenturen. Das klassische Modell hat ausgedient, die Branche bedarf einer Neuorientierung. Digitalagenturen, die ein Angebot bieten, das auf Kundinnen und Kunden zugeschnitten ist, datenbasierte Lösungen vorschlagen und Marketing-Technologien bereitstellen, verdienen den Titel „Agentur der Zukunft“.
In diesem Artikel erfahren Sie, vor welchen Herausforderungen die Agenturlandschaft aktuell steht und welche Modelle sowie Methoden in der Zukunft Erfolg haben werden.
Vor welcher Herausforderung klassische Werbe-Agenturen heute stehen
Klassische Werbe-Agenturen stehen im Zuge der Digitalisierung gleich vor mehreren Herausforderungen: Sie müssen ihre Ausrichtung anpassen, sich gegen die zunehmend größer werdende Konkurrenz durchsetzen und gleichzeitig neue Technologien erfolgreich und nachhaltig in ihre Arbeitsabläufe integrieren.
Für Tim Williams (@TimWilliamsICG), Gründer der Ignition Consulting Group, der treffend als der „Markenexperte für Markenexperten“ bezeichnet wird, gibt es darüber hinaus noch weitere Faktoren, die Agenturen künftig beachten müssen. „Weil die besten Marketer vermehrt nach einem Portfolio von erstklassigen Partnern suchen (und nicht mehr nach Geschäftsbeziehungen mit bevollmächtigten Agenturen), müssen die Agenturen besser darin werden, eine Nebenrolle zu spielen, anstatt sich nur in der Rolle der Hauptagentur zu sehen“.
Laut Williams sind die Grundlagen der Wirtschaftslehre, vor allem aber das Verhältnis von Angebot und Nachfrage, entscheidend für die Zukunft von Agenturen. „Wenn das, was Sie anbieten, sich vom Angebot der anderen nicht unterscheidet und allgemein verfügbar ist, dann wird Ihr Geschäft nicht gut laufen. Sie werden kaum Gewinne erzielen. Sie haben keinerlei Preissetzungsmacht.“
Um potenzielle Kundinnen und Kunden auf das eigene Angebot und die dazugehörigen Dienstleistungen aufmerksam zu machen, bietet die Digitalisierung Marketerinnen und Marketern eine Vielzahl an Möglichkeiten.
Wie sich das Marketing durch die Digitalisierung verändert hat
Agenturen müssen ihre Zukunftsfähigkeit betrachten, weil sich die Rolle der Marketerinnen und Marketer in den letzten Jahren deutlich verändert hat. Dabei sollten sich die Verantwortlichen mit den folgenden drei Kernthemen auseinandersetzen:
1. Integration einer Vielzahl von Anbietern, Technologielieferanten und Agenturen
Laut der Marketing Technology Landscape-Auswertung von ChiefMartech gibt es 2020 bereits 8.000 verschiedene Marketing-Technologien. Das sind fast 1.000 Tools und Software-Lösungen mehr als im Jahr zuvor (2019: 7.040).
Das sind zu viele verschiedene Plattformen, Anbieter und Tools, die es 1) zu beherrschen und 2) zu verwalten gilt und die 3) verhindern, dass ohne Integration der Daten echte Einblicke gewonnen werden können. Darüber hinaus pflegen Marken mit mehreren Agenturen Beziehungen.
Daher wenden Marketerinnen und Marketer einen Großteil ihrer Zeit für die Verwaltung von Ressourcen statt zur Durchführung von Ideen und Projekten auf. Sie brauchen Partner und Partnerinnen, die ihnen nicht nur helfen können, ihre Arbeitsabläufe und Tools zu optimieren, sondern die auch die Zusammenarbeit beherrschen. Agenturen müssen sich daran gewöhnen, eine von vielen zu sein, und sie müssen verstehen, wie sich das auf ihre Arbeit für ihre Kunden und Kundinnen sowie ihren Kommunikationsstil auswirken kann.
2. Erfahrenheit mit Marketing-Technologie
Aufgrund der zunehmenden Verbreitung von Tools ist es für Marketerinnen und Marketer an der Zeit, sich besser über die verfügbaren Plattformen zu informieren und sich Kenntnisse im Umgang mit diesen anzueignen. Zur Verdeutlichung: Bereits 2018 war die Marketingabteilung in acht von zehn Unternehmen bei der Auswahl von Tools und Software wegweisend.
„Es war im letzten Jahrzehnt groß in Mode, darüber zu reden, wie Marketerinnen und Marketer besser mit der Digitalisierung umgehen müssen, was ein etwas undurchsichtiges Konzept ist“, sagt Williams. „Meiner Meinung nach ist es viel hilfreicher, hier spezifisch von Marketing-Technologie zu reden.“
Die Marketing-Technologie hat viele Probleme gelöst: Nachverfolgen des ROI, Automatisierung und Skalierbarkeit von Aktivitäten, stärker personalisierte und gezieltere Kommunikation mit Kundinnen und Kunden sowie Interessentinnen und Interessenten, integrierte Analytics und zahlreiche weitere Probleme.
Aber es gibt eine Qualifikationslücke und Unternehmen sind oftmals angesichts der vielen verfügbaren Optionen verwirrt – zur Verdeutlichung dieser Tatsache reicht ein erneuter Blick auf die bestehende Marketing-Technologielandschaft.
„Geschickte Agenturen werden zunehmend zu Technologieberatern, die ihrer Kundschaft helfen, die für sie geeigneten Lösungen zu identifizieren. Dann gehen sie ins Unternehmen und helfen den Kundinnen und Kunden bei der Umsetzung“, erläutert Williams.
3. Verwaltung der hausinternen Agentur- und Marketing-Ressourcen
Aufgrund der zunehmenden Nutzung mobiler Geräte und der Akzeptanz der Werbeblocker-Technologie muss es bei Werbung heute stärker um Inhalte und native Werbe-Erlebnisse gehen. Die Menge des benötigten Contents und die für die Kommunikation mit den Verbrauchern und Verbraucherinnen erforderliche schnelle Reaktionsfähigkeit sind zum Teil Gründe, warum viele Marken diese Aufgaben wieder ins Unternehmen holen, statt externe Agenturen zu beauftragen. Selbst angesichts der Komplexität der Technik überwiegen die Anreize, Kosten einzusparen und mehr Kontrolle über die eigenen Daten zu haben, die Vorteile der Auslagerung des Programms.
Agenturen müssen überlegen, wie sie ihre Angebote neu ausrichten und neu definieren können, um unverzichtbar zu werden. Die von einer Agentur geleistete Produktionsarbeit ist einfach zu ersetzen. Was die Kunden und Kundinnen wirklich wollen, sind Strategie, Ideen und Know-how. Was können Sie anbieten, mit dem nur wenig andere im Markt konkurrieren können?
8 grundlegende Aspekte, die eine Agentur im Jahr 2021 (und darüber hinaus) braucht
Diese und weitere Änderungen in der Marketing-Landschaft haben – neben neuen Wettbewerbern wie beispielsweise Content-Studios von Verlagen – schwerwiegende Folgen für die Zukunft des Agenturmodells.
Williams hat eine Karte der grundlegenden Aspekte skizziert, auf die sich die Agentur der Zukunft konzentrieren muss. Hierbei geht es nicht um das Hinzufügen von Snapchat-Werbedienstleistungen oder Virtual-Reality-Produktionen. Bei diesen basalen Elementen geht es darum, wie die Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer von Agenturen ihre Service-Modelle verstehen und ihr Unternehmen führen.
Sie werden in acht verschiedene Bereiche gruppiert: Expertise, Effektivität, Agilität, Preisgestaltung, Zusammenarbeit, digitale Kompetenzen, Innovation und Verantwortlichkeit.
Drei dieser acht Elemente sollten dabei besonders beachtet werden.
Erstes Element: Effektivität
Gute Agenturen bieten Lösungen und nicht nur Dienstleistungen an. Agenturen, die nur explizit beauftragte Services erfüllen, gelten als reaktiv und risikoscheu.
Diese Befehlsempfänger-Mentalität hängt mit Problemen des Modells der Stundenabrechnung zusammen: Manche Agenturen führen Aufgaben, die nicht durch einen Eintrag in ihrer Dienstleistungstabelle belegbar und abrechenbar sind, nicht aus. Auch können sie es sich teilweise nicht leisten, sie auszuführen, weil sie für ihren Input und nicht für die Ergebnisse bezahlt werden.
„Marketerinnen und Marketer haben einen Großteil des Respekts, den sie vor Agenturen hatten, verloren, weil sie den Eindruck haben, dass Agenturen kein Rückgrat mehr haben“, sagt Williams.
Sie wollen mehr Widerspruch, höhere Risikobereitschaft und proaktiveres Denken. Reine Produktionstätigkeiten können sie auch mühelos mit internen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern abdecken.
„Agenturen müssen eine Kehrtwende vollziehen oder zumindest sich neu der Idee verschreiben, dass es bei Ihrem Geschäft nicht um Leistungsfähigkeit, sondern um Effektivität geht“, sagt er. „Vernünftigerweise möchte kein Kunde für Leistungsfähigkeit zahlen. Sie zahlen für die Ergebnisse unserer Arbeit.“
Kunden und Kundinnen möchten Marketing-Ergebnisse, die am Marketing der Brand und den Geschäftszielen ausgerichtet sind. Und dies bedeutet, dass Agenturen die Geschäftszahlen um Umsatz, Ertrag, Kundenzufriedenheit und Kundenbindung, Mitarbeiterzufriedenheit und allen weiteren Elementen besser verstehen müssen. Sie dürfen sich nicht nur auf Likes und Shares und Seitenaufrufe beschränken.
Darüber hinaus müssen Agenturen den Kreis schließen – sie müssen in der Lage sein, Aktivitäten mit Zielen zu verbinden, um ihren Wert beweisen zu können.
Zweites Element: Preisgestaltung
Wirtschaftliche Anreize von Agenturen und Kunden müssen aneinander ausgerichtet werden. Für Kunden und Kundinnen wird es zukünftig nicht mehr sinnvoll sein, für x Projekte zu zahlen, die in x Stunden zu je x Euro abgeschlossen werden sollen. Denn diese x Stunden sind ohne Ergebnisse wertlos.
Williams macht auf den Wahnsinn des derzeitigen Systems aufmerksam: Eine Agentur verdient mehr, wenn sie mehr Stunden arbeitet und daher mehr Stunden abrechnen kann. Andererseits verdient eine Agentur weniger, wenn sie das Problem einer Kundin durch ihr Fachwissen schneller löst.
Eine Agentur möchte mehr Stunden in Rechnung stellen können und daher neigt sie dazu, Pläne zu erstellen, die komplexer sind und mehr Arbeitsstunden erfordern als eigentlich nötig. Kunden und Kundinnen auf der anderen Seite möchten Effizienz, Einfachheit und Expertise.
„Die wirtschaftlichen Interessen dieser beiden Parteien sind genau entgegengesetzt“, sagt Williams.
Williams führt das leistungsbasierte Vergütungsmodell von Proctor & Gamble für deren Agenturpartner als interessantes Beispiel an: 50 % der Vergütung basiert auf dem Umsatz, 25 % auf dem Marktanteil und 25 % auf der Agenturleistung. Andere Agenturen haben die Vergütung mit dem Umsatz verknüpft und einige Agenturen verwenden ein Risikokapitalgeber-/ Investor-Modell für die Einführung neuer Produkte.
Das Ziel ist es, das, was Kunden und Kundinnen möchten, mit dem in Übereinstimmung zu bringen, was Agenturen möchten und was beide zusammen erreichen können – und das sollte nichts mit Zeiterfassungstabellen und Arbeitsstunden zu tun haben.
Drittes Element: Agilität
Agenturen werden Agile-Philosophien zur Verbesserung von Prozessen und Workflows verinnerlichen. Ein weiterer Bereich, der den Erfolg der Agentur der Zukunft definieren wird, befasst sich damit, wie sie Arbeit produzieren.
In der Vergangenheit haben Agenturen diesen Bereich vernachlässigt, und das liegt vielleicht daran, dass in der guten alten Zeit die Vergütung auf Medienprovisionen beruhte.
Aber das ist schon lange her und Agenturen müssen Experten und Expertinnen in der Kosten- und Aufwandsschätzung von Projekten sein. Wenn die Margen immer kleiner werden, kann Missmanagement nicht die Lösung sein.
Die Agile-Methodik ist ein Bereich, aus dem Inspiration für eine bessere Projektplanung und ein besseres Management gezogen werden kann. Hier wird Wert auf Reaktionsfähigkeit, Brauchbarkeit, Vermeidung von Überschüssen/ Verschwendung, Dokumentation der Prozesse und Zusammenarbeit gelegt. Damit sind agile Methoden für Kampagnenstarts, die schneller und häufiger vonstatten gehen und dabei kurze Bearbeitungszeiten, laufende Optimierung und Anpassungen erfordern, besser geeignet.
Die Agile-Methode ersetzt die herkömmliche Wasserfall-Projektmanagementmethode, die auf der Idee basiert, dass in der Anfangsphase des Projekts alles in Erfahrung gebracht wird, was man über das Projekt wissen muss.
In Wirklichkeit lernen Projektteams mehr, wenn sie Probleme bearbeiten und Lösungen finden. In der Scrum-Methodik, die der Agile-Philosophie zugeordnet ist, werden Projekte in kleinere Stücke aufgeteilt und in Sprints (kurzen Zeitabschnitten) bearbeitet. Jeder Sprint bietet Raum und Zeit für Feedback und Reflexion, bevor der nächste Sprint beginnt.
Welche Agenturmodelle Erfolg haben
Über 65 Prozent der Agenturen blicken der Zukunft optimistisch entgegen und erwarten für das Jahr 2021 eine Umsatzsteigerung. Doch wie sehen Agenturmodelle aus, die erfolgreich sind?
Hier finden Sie fünf Beispielmodelle, die einer „Agentur der Zukunft“ gerecht werden:
Die Full-Service-Agentur
Die Full-Service-Agentur entspricht zwar dem klassischen Modell des Agenturlebens, doch ihr Aussterben wird kaum eintreten. Durch die Rundumbetreuung bieten sie ihren Kunden und Kundinnen einen entscheidenden Vorteil und geringen Aufwand in der Projektkoordination.
Die Lead-Agentur
Die Lead-Agentur weiß, was sie kann, und lagert das, was andere besser können, aus. Das verspricht effiziente und hochprofessionelle Ergebnisse für die Kundinnen und Kunden. Eine einfache Koordination und die intensive Betreuung der Kundschaft mitsamt ihrer spezifischen Anforderungen machen die Lead-Agentur zu einer Agentur der Zukunft.
Die In-House-Agentur
Immer mehr Unternehmen verschieben ihre Budgets und setzen auf das Modell der In-House-Agentur. Das verspricht zum einen den vollen Überblick über Insights und Daten. Zum anderen kann ein einheitliches Auftreten garantiert werden. Angebote werden passgenau auf die eigene Zielgruppe abgestimmt, was den ROI im besten Fall hebelt. Nachteil dieses Modells einer Agentur der Zukunft ist jedoch der fehlende Blick von außen. Unternehmen könnten sich zu sehr in den eigenen Strukturen verrennen.
Die Experten-Agentur
Die Experten-Agentur besteht aus einem schlanken Team, das klar abgegrenzte Aufgabenbereiche betreut. Jedes Teammitglied verfügt über eine hohe Expertise im jeweiligen Bereich. Unterstützt durch agile Strukturen und Design Thinking-Ansätze entstehen kreative und technisch-einwandfreie Produkte.
Die Consulting-Agentur
Große Beratungs- und Consulting-Unternehmen zeigen, dass die kollaborative Zusammenarbeit von Agenturen mehr und mehr Einzug ins Agenturleben erhält. Die Consulting-Agentur ist dabei das Bindeglied und übernimmt die strategische und administrative Anleitung. Für die Kundinnen und Kunden bedeutet das eine 360-Grad-Betreuung, die jedoch – anders als in der Full-Service-Agentur – von verschiedenen Agenturen getragen wird. Die Consulting-Agentur berät entlang des gesamten Prozesses und stellt Ressourcen, Budget sowie Technologie zur Verfügung.
Ein Modell der Zukunft: Das erwartet Agenturen in 2022
Das klassische Agenturmodell steht vor dem Aus. Das zumindest scheint aus den aktuellen Entwicklungen im Marketing hervorzugehen. Mehr als die Hälfte aller Marketerinnen und Marketer finden, dass Agenturen leere Versprechungen geben und nicht auf die spezifischen Kundenwünsche eingehen.
Diese Statistik offenbart auch, dass die Agentur der Zukunft unweigerlich über den Customer-Centricity-Ansatz zum Erfolg gelangt. Doch dazu ist es notwendig, das Aufgabengebiet und vielleicht sogar den Begriff Agentur selbst neu zu denken. Die Agentur der Zukunft überzeugt nicht mehr nur allein durch den Kreationsprozess, sondern dadurch, dass sie Kunden und Kundinnen technisches sowie kreatives Wissen zur Verfügung stellt, Marketing-Automation nutzt, Data-Management betreibt und ganz konkret die Ziele der Marketerinnen und Marketer festzieht.
Jan Möllendorf, Gesellschafter und Managing Partner von Defacto X, spricht nicht mehr von Agenturen, sondern Enablern (deutsch: Befähiger). Die Agentur der Zukunft ermöglicht es Unternehmen überhaupt erst, Kreativprozesse und datenforcierte Kampagnen zu Umsatzgaranten zu machen – nämlich durch Kreation, Technik und agile Strukturen.
Fazit: Mit einem zukunftsfähigen Agenturmodell Kundinnen und Kunden nachhaltig überzeugen
Es ist an der Zeit, sich dem Wandel zu stellen. Die Digitalisierung ist längst da und Agenturen, die sich davor verstecken, werden es in den kommenden Jahren zunehmend schwer haben. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, sollten sie im ersten Schritt ihre eigene Positionierung definieren – dieser Prozess stellt einen zentralen Bestandteil der Unternehmensstrategie dar. Ausgehend von dieser Positionierung und der daraus folgenden Expertise in einer Kategorie, einer Zielgruppe oder einem Service können sie beginnen, andere grundlegenden Elemente anzugehen. So machen Sie sich fit für die Zukunft.
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