Für Führungskräfte ist eine Frage besonders wichtig: Wie leiten sie ihre Mitarbeitenden am besten an? Die Theorie des situativen Führungsstils liefert Ihnen ein passendes Modell, das zwar einiges an Flexibilität verlangt, aber sich langfristig definitiv auszahlen könnte.
Inhalt
- Was ist situatives Führen?
- Der situative Führungsstil nach Paul Hersey und Ken Blanchard
- Aufgabenbezogene und personenbezogene Führungsstile
- Der Reifegrad im situativen Führungsstil
- Welche 4 Führungsstile gibt es?
- Beispiel für den situativen Führungsstil
- Situativer Führungsstil: Vor- und Nachteile
- Wann nutzen Führungskräfte den situativen Führungsstil
- Unterschiedliche Führungsstile: So kann man situatives Verhalten kombinieren
Was ist situatives Führen?
Führungskräfte, die ihre Mitarbeitenden situativ führen, zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihren Führungsstil den Umgebungsbedingungen anpassen. Ausschlaggebend für den korrekten Führungsstil ist vor allem der sogenannte „Reifegrad“ der einzelnen Mitarbeitenden. Der passende Stil ist also je nachdem, welche Person Sie anleiten, ein anderer.
Der situative Führungsstil nach Paul Hersey und Ken Blanchard
Paul Hersey und Kenneth H. Blanchard prägten in ihrem 1972 erschienenen Buch „Management of Organizational Behaviour“ (zu Deutsch: „Management organisierten Verhaltens“) die Theorie des situativen Führungsstils.
Sie besagt, dass es nicht einen einzigen Führungsstil gibt, der in jeder Situation optimale Ergebnisse erzielt. Daher müssen Führungskräfte flexibel agieren und – angepasst an die Umstände – einen individuellen Führungsstil wählen. Dies unterscheidet den situativen Führungsstil von den meisten anderen Führungsstilen, die von der Annahme ausgehen, dass es den einen perfekten Stil gibt, den alle Vorgesetzten anwenden sollten.
Aufgabenbezogene und personenbezogene Führungsstile
Die Autoren unterscheiden hinsichtlich der Führung von Mitarbeitenden zwei unterschiedliche Dimensionen:
- Aufgabenbezogenheit des Führungsstils
- Personenbezogenheit des Führungsstils
Ein stark aufgabenorientierter Führungsstil zeichnet sich dadurch aus, dass die Vorgesetzten definierte Aufgaben mit detaillierten, klaren Anweisungen zur Umsetzung vorgeben. Diese sollen die Angestellten bis zu einem vorgegebenen Termin auszuführen. Dieser Führungsstil ist in hohem Maße restriktiv und räumt den Mitarbeitenden wenig Freiräume ein.
Ein personenbezogener Führungsstil – auch beziehungsorientiert genannt – basiert auf der Entwicklung von guten persönlichen Beziehungen in der Mitarbeiterführung. Regelmäßige Mitarbeitergespräche, individuelles Feedback, Lob, Unterstützung und Motivation der Angestellten gehören zur Tagesordnung.
Die Beschäftigten werden von der Führungskraft als Teammitglieder mit persönlichen Bedürfnissen und Erwartungshaltungen wahrgenommen. Beispielhaft für einen solchen Führungsstil sind Führungskräfte, die trotz ihrer Führungsrolle häufig kumpelhaft auftreten.
Im Modell der situativen Führung stellen der aufgaben- und personenbezogene Führungsstil zwei unabhängige Parameter dar. Den größten Führungserfolg erzielen Vorgesetzte, die in der Lage sind, die Intensität der beiden Parameter je nach Situation und Reifegrad des Mitarbeiters oder der Mitarbeiterin passend anzugleichen.
Der Reifegrad im situativen Führungsstil
Ziel der situativen Führung ist es, sämtliches Potenzial der Mitarbeitenden für das Unternehmen zu nutzen. Dazu ist der jeweilige Reifegrad zu beurteilen – das heißt die Kompetenzen, die ein Teammitglied zur Durchführung einer bestimmten Aufgabe befähigen.
Nach dem Reifegradmodell besitzen verschiedene Mitarbeitende für einzelne Aufgaben je unterschiedlich ausgeprägte Fähigkeiten. Diese setzen sich zusammen aus einem sachlichen Reifegrad (fachliche Kompetenz) und einem emotionalen Reifegrad (Sicherheit, Motivation). Anders formuliert können Sie durch den Reifegrad der Mitarbeitenden einschätzen, wie selbstständig diese verschiedene Probleme lösen können.
Welche 4 Führungsstile gibt es?
Wenden Sie den situativen Führungsstil an, so wählen Sie das richtige Vorgehen aus den vier möglichen Kombinationen von Aufgaben- und Beziehungsorientierung unter Berücksichtigung des jeweiligen Reifegrades Ihrer Mitarbeitenden. Mit steigendem Reifegrad durchläuft der passende Führungsstil folgende Stadien: Unterweisen, Verkaufen, Partizipieren und Delegieren.
Situativer Führungsstil bei sehr niedrigem Reifegrad: Unterweisen
Der erste Führungsstil, das Unterweisen, zeichnet sich durch eine hohe Aufgabenbezogenheit und niedrige Personenbezogenheit aus. Diese Art des situativen Führens ist durch starre hierarchische Strukturen gekennzeichnet.
Die Führungskraft trifft die Entscheidungen und sagt den Mitarbeitenden präzise, wie und bis wann eine Aufgabe zu erledigen ist. Die Belegschaft nimmt diese Anweisungen an und setzt sie um. Zwischen den beiden Ebenen herrscht eine professionelle Distanz.
Situativer Führungsstil bei niedrigem bis mittlerem Reifegrad: Verkaufen
Als zweite der vier Stufen des situativen Führungsstils gilt das sogenannte „Verkaufen“. Dabei trifft hohe Aufgabenbezogenheit auf hohe Personenbezogenheit.
Die Mitarbeitenden erfahren genau, was sie zu tun haben und warum, die Führungskraft öffnet sich im Führungsverhalten jedoch gleichzeitig gegenüber der Belegschaft und teilt persönliche Einblicke. Dabei rückt die Motivation in den Vordergrund. Entscheidungen trifft dennoch uneingeschränkt die Führungskraft.
Situativer Führungsstil bei mittlerem bis hohem Reifegrad: Partizipieren
Das Partizipieren setzt sich aus niedriger Aufgabenbezogenheit und hoher Personenbezogenheit zusammen. Der Führungsstil kommt in Situationen zum Einsatz, in denen die Mitarbeitenden die Reife bzw. die Kompetenzen besitzen, an Entscheidungen mitzuwirken und wichtige Aufgaben eigenständig zu erledigen.
Die Führungskraft schränkt die eigene Aufgabenorientierung ein und überlässt der Belegschaft viel Eigenverantwortung. Sie konzentriert sich im Gespräch auf die Motivation und Beziehungsebene – denn durch die hohe Personenbezogenheit ist konstante Kommunikation dennoch gegeben.
Situativer Führungsstil bei sehr hohem Reifegrad: Delegieren
Sind die Mitarbeitenden in der Lage, komplett selbstständig gute Arbeit zu leisten, ist der delegierende Führungsstil sinnvoll. Mit niedriger Aufgabenbezogenheit und niedriger Personenbezogenheit verteilt die Führungskraft dabei anstehende Aufgaben unter den Angestellten – ohne genaue Vorgaben über das wie und warum.
Wirklich reife Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind sich beider Faktoren bewusst und fühlen sich durch zu strikte Vorgaben meist sehr eingeschränkt oder nicht ernst genommen.
Der große Vorteil dieses Führungsstils ist, dass sich die Vorgesetzten wenig mit der Aufgabenverteilung und -bewertung auseinandersetzen müssen, da die Mitarbeitenden autonom arbeiten. So bleibt Ihnen mehr Zeit für andere Aufgaben.
Beispiel für den situativen Führungsstil
Ein alltägliches Beispiel für den situativen Führungsstil ist die unterschiedliche Behandlung von Auszubildenden am ersten Tag im Betrieb im Gegensatz zur Anleitung einer Fachkraft mit 25 Jahren Berufserfahrung.
Während einem neuen Mitarbeiter und einer neuen Mitarbeiterin jedes Detail genau erklärt wird und sie Aufgaben meist nicht komplett eigenständig ausführen, reicht es bei erfahrenen Fachkräften, das Problem kurz zu schildern. Diese können den Fall dennoch ohne weitere Anweisung übernehmen.
Situativer Führungsstil: Vor- und Nachteile
Der Zweck der Vierteilung beim situativen Führen besteht darin, die Fähigkeiten der Angestellten optimal zu entwickeln, um nach und nach die Betreuungszeiten zu verringern. Außerdem steigert das Vorgehen die Motivation der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.
Unerfahrene Mitarbeitende erhalten durch die hohe Aufgabenorientierung detaillierte Anweisungen und intensive Betreuung. Die erfahrene Kollegschaft bekommt währenddessen durch höhere Personenorientierung vermittelt, dass sie und ihre Fähigkeiten wertgeschätzt werden. Dieses flexible Vorgehen hat einige Vorteile:
- Fokus auf Kompetenzen der Mitarbeitenden: Alle Mitarbeitenden werden entsprechend ihrer Fähigkeiten und individuellen Stärken gefördert. Es gibt ausreichend Möglichkeiten zur Weiterqualifizierung.
- Hohe Flexibilität: Situatives Führen ermöglicht es Führungskräften, das Führungsverhalten auf die Herausforderungen des betrieblichen Alltags einzustellen und schnell auf unterschiedliche Situationen zu reagieren.
- Verbesserung der Produktivität: Mitarbeitende werden entsprechend ihrer aktuellen Kompetenzen sowie vorhandenen Potenziale eingesetzt und sind imstande, Aufgaben mit maximaler Produktivität zu erledigen.
Ein weiteres Merkmal des situativen Führungsstils, dass die Anwendung eine hohe Anpassungsfähigkeit der Führungskraft voraussetzt. Jedes Teammitglied ist unterschiedlich reif und muss dementsprechend in einem anderen Stil geführt werden.
Allerdings haben alle Vorgesetzten durch ihren eigenen Charakter und ihre Persönlichkeitsmerkmale häufig einen „Lieblingsführungsstil“. Eine Umstellung auf andere Stile gestaltet sich dadurch nicht immer einfach. Die Nachteile des situativen Führungsstils auf einen Blick:
- Große Verantwortung für Führungskräfte: Vorgesetzte müssen ihre Belegschaft bestmöglich einschätzen können – sowohl auf fachlicher als auch auf zwischenmenschlicher Ebene.
- Unklare Erwartungshaltungen an Mitarbeitende: Manche Mitarbeitenden bevorzugen einen einzigen Führungsstil mit klaren Erwartungshaltungen und fühlen sich durch die unterschiedlichen Herangehensweisen des situativen Führens überfordert.
- Fokus auf kurzfristigen Zeithorizonte: Langfristige Zielsetzungen können durch den Fokus auf die Gegenwart und kurzfristige Zeithorizonte untergehen. Situatives Führen funktioniert nur in Kombination mit einem hohen Maß an Kommunikation von Langzeitstrategien und Zielen.
Durch die kontinuierliche Weiterqualifizierung der eigenen Mitarbeitenden durch situative Führung können Führungskräfte im Laufe der Zeit auf einen zuverlässigen Stamm an Mitarbeitenden bauen, der in der Lage ist, Aufgaben eigenständig zu übernehmen.
Diese Merkmale des situativen Führungsstils entsprechen dem Idealmodell von „New Work“. Führungskräfte haben ein fähiges und ideal gefördertes Team an ihrer Seite und können sich mehr auf ihre Kernkompetenzen und strategischen Ziele konzentrieren.
Wann nutzen Führungskräfte den situativen Führungsstil?
Der situative Führungsstil lohnt sich am meisten im Fall einer heterogenen Mitarbeiterstruktur mit unterschiedlichen Qualifizierungsgraden – von Neueinsteigenden bis hin zu Spezialisten und Spezialistinnen.
Ziel ist es, neue Mitarbeitende nicht zu überfordern und gleichzeitig durch das Einräumen ausreichend großer Entscheidungsspielräume die Motivation erfahrener Fachkräfte zu fördern.
Unterschiedliche Führungsstile: So kann man situatives Verhalten kombinieren
Abhängig vom passenden Stil im situativen Führungsmodell gibt es unterschiedliche Kombinationsmöglichkeiten mit weiteren etablierten Arten der Unternehmensführung.
Ein autokratischer, autoritärer Führungsstil, der auf strikten Anweisungen ohne eigenen Handlungsspielraum für die Mitarbeitenden beruht, nutzt häufig Techniken, die dem Unterweisen sehr ähnlich sind. Der Unterschied hier liegt vor allem darin, dass die Kommunikation in streng hierarchischen, autoritären Systemen meist nicht auf Augenhöhe stattfindet, was beim Unterweisen durchaus möglich ist.
Das Verkaufen wiederum ist sehr gut mit charismatischen Führungsstilen kombinierbar, bei welchen sich die Autorität der Führungskraft überwiegend aus deren persönlicher Ausstrahlung ableitet.
Beim Partizipieren und Delegieren bietet sich die Verbindung mit einem kooperativen Führungsstil an. Das Führen auf Augenhöhe gilt als Idealmodell zur Motivationssteigerung von Mitarbeitenden und zur Sicherstellung eines angenehmen Betriebsklimas. Im Gegenzug für die erbrachte Wertschätzung und den größeren Handlungsspielraum der einzelnen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen erwarten Führungskräfte ein entsprechendes Maß an Eigeninitiative.
Fazit: Ist das situative Führen das ideale Konzept für Führungskräfte?
Der situative Führungsstil ist ein intuitives Konzept, das eine Herausforderung für viele Führungskräfte darstellt. Möchten Sie das situative Führen anwenden, müssen Sie sicherstellen, die vier Stile inklusive des jeweiligen Führungsverhaltens zu verinnerlichen.
Studien zur Effektivität des situativen Führungsstils führten bisher jedoch nicht zu eindeutigen Ergebnissen. Die Konzepte des Reifegrades und der Orientierungsarten sind für einheitliche wissenschaftliche Untersuchungen nicht scharf genug definiert.
Es ist zwar nicht belegbar, dass der situative Führungsstil im Vergleich zu anderen Führungsstrategien bessere Ergebnisse erzielt. Mit der grundlegenden Prämisse der situativen Führung – die Herangehensweise an Gespräche und Aufgabenverteilungen an Ihr Gegenüber anzupassen – fühlen sich Ihre Mitarbeitenden aber sicherlich besser verstanden und mehr wertgeschätzt, als wenn Sie mit allen genau den gleichen Ton anschlagen.
Wir empfehlen Ihnen daher, die Art der Personalführung individuell an Ihre Unternehmenskultur und die jeweilige Situation anzupassen und sich einen Stil (oder sogar mehrere Stile) zu suchen, der für Sie und Ihre Mitarbeitenden funktioniert.
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