Die Erstellung einer Bilanz ist im Handelsgesetzbuch (HGB) genauestens geregelt. Dennoch ergeben sich bei der Gestaltung der Bilanz Spielräume. Insbesondere Unternehmen, die ihr Betriebsvermögen für Außenstehende nur bedingt offenlegen möchten, nutzen Möglichkeiten wie die stillen Reserven. Interessant ist diese Option auch, wenn Unternehmen gezielt ihre Steuerlast senken wollen.
Was erst einmal nach einer Straftat klingt, ist zum Glück alles erlaubt, denn stille Reserven sind innerhalb bestimmter Rahmenbedingungen zulässig. Diese Bedingungen sind vom Gesetzgeber allerdings klar geregelt. Was genau hinter den stillen Reserven steckt und wann und wie diese gebildet werden, erfahren Sie in diesem Artikel.
Was sind stille Reserven?
Bekannt sind stille Reserven auch als stille Rücklagen oder Bewertungsreserven. Sie sind die Differenz zwischen dem Buchwert und dem Marktwert einer Position in der Bilanz. Dahinter verbirgt sich also Eigenkapitel, das nicht in der Bilanz ausgewiesen wird. Der Gesetzgeber lässt diese stillen Reserven in einem bestimmten Rahmen zu.
Bestimmte Vermögenswerte werden bei der Bildung stiller Reserven in der Bilanz mit einem niedrigeren Wert bemessen. Dadurch ergibt sich die Differenz zwischen dem Reinvermögen und dem tatsächlichen Vermögen, die als stille Reserve bezeichnet wird.
Welche Beweggründe haben Unternehmen, stille Reserven anzulegen?
Theoretisch können alle, die Zugriff auf die Bilanz des Unternehmens haben, das genaue Betriebsvermögen bestimmen. Dies ist aber nicht unbedingt im Interesse des Unternehmens. Außerdem bieten stillen Reserven die Möglichkeit, die Gewinne zu schmälern. Und das wirkt sich positiv auf die Steuerlast aus. Geringere Gewinne bedeuten weniger Steuern. Strategisch richtig eingesetzt, können stille Reserven sehr nützlich sein.
Achtung: Verwechseln Sie stille Reserven nicht mit den stillen Lasten. Diese sind nämlich verboten. Bei stillen Lasten sind die Buchwerte höher als die tatsächlichen Marktwerte. Dies führt zu einem erhöhten Betriebsvermögen. Besonders bei Immobilien oder zu niedrig angesetzten Schulden kann es leicht zur Bildung von stillen Lasten kommen.
Wie entstehen stille Reserven?
Jedes Unternehmen muss in der Bilanz seine Vermögenswerte aufführen. Laut HGB ist es zulässig, bestimmte Vermögenswerte zu schätzen beziehungsweise den Betrag zu runden. Dabei gilt die Maxime, dass Unternehmen Vermögenswerte nach dem Vorsichtsprinzip schätzen sollen. Schätzen Sie also die Vermögenswerte Ihres Unternehmens, sollten diese Schätzungen lieber zu niedrig als zu hoch sein.
Diese stillen Reserven, die sich durch die vorsichtige Schätzung ergeben, sind als Dispositionsreserven bekannt. Beispiele für Vermögenswerte sind Kundenlisten oder Marken. Diese immateriellen Vermögensgegenstände lassen sich nur schwer beziffern. Die exakten Abweichungen, die dadurch entstehen, sind in der Bilanz nun nicht mehr ersichtlich.
Einige stille Reserven ergeben sich durch gesetzliche Bestimmungen. Gemäß den Höchstbewertungsvorschriften dürfen Grundstücke nur zum Anschaffungswert bilanziert werden. Der tatsächliche Marktwert kann im Laufe der Zeit aber von diesem ursprünglichen Anschaffungswert abweichen. Durch diese Regelung ergeben sich sogenannte Zwangsreserven.
Ein ähnliches Prinzip gilt auch für das Aktienprinzip eines Unternehmens. Die Wertsteigerung, die sich im günstigsten Fall durch die Anschaffung eines Aktienpakets ergibt, dürfen Unternehmen in der Bilanz nicht abbilden.
Beispiel für die Bildung von Zwangsreserven
An einem einfachen Beispiel lässt sich die Bildung von Zwangsreserven erklären. Ein Unternehmen erwirbt ein Grundstück zu einem Preis von 80.000 Euro. Das Grundstück wird zu diesem Wert in den Büchern geführt, taucht also in dieser Höhe in der Bilanz auf.
Drei Jahre später liegt der Marktwert für das Grundstück bei 150.000 Euro. Die Differenz von 70.000 Euro ist in der Bilanz nicht ersichtlich, da der ursprüngliche Anschaffungswert, also 80.000 Euro, weiterhin in den Büchern steht. Laut HGB kommt hier also das Niederstwertprinzip zur Anwendung. Dadurch erfolgt in den Aktiva der Bilanz automatisch eine Unterbewertung.
Stille Reserven bei Rückstellungen
Auch bei Rückstellungen können stille Reserven entstehen. Das passiert zum Beispiel, wenn die Rückstellungen unabsichtlich oder absichtlich überhöht werden. Ein Beispiel dafür können bevorstehende Verluste sein, von denen Ihr Unternehmen ausgeht. Deren Höhe kann jedoch nur geschätzt werden.
In diesem Falle kommt es zu stillen Rücklagen, die so hoch sind wie die Differenz zwischen dem geschätzten und dem später tatsächlich zutreffenden Betrag. Hier handelt es sich um einen unterbewerteten Vermögenswert, der durch die stille Reserve entsteht.
Stille Reserven bei Vermögensgegenständen des Anlagevermögens
Laut § 6 Abs. 2 EStG darf für Vermögensgegenstände des Anlagevermögens ein Erinnerungswert in der Abrechnung auftauchen. Wenn die Abschreibung abgelaufen ist, hat der Gegenstand in der Bilanz noch einen Wert von einem Euro zu verzeichnen. Das entspricht aber nicht dem tatsächlichen Wert: Beschließt ein Unternehmen zum Beispiel, ein Grundstück zu verkaufen, so bekommt es für diesen Verkauf einen Betrag ausgezahlt, der weit über dem Euro liegen sollte.
Verstöße gegen die Gesetzeslage beim Bilden stiller Reserven
Trotz der Gesetzeslage, die stille Reserven begünstigt beziehungsweise ermöglicht, gibt es klare Grenzen und Regularien, die Sie beim Bilden der Rücklagen beachten sollten. Verstoßen Unternehmen bewusst gegen diese Vorschriften und erhöhen somit künstlich ihre stillen Reserven, können Strafen drohen.
Unternehmen könnten beispielsweise aktivierungspflichtige Vermögensgegenstände bewusst nicht in der Bilanz ausweisen. In so einem Fall ist von Willkürreserven die Rede. Diese sind (wie die bereits erwähnten stillen Lasten) nicht erlaubt.
Gesetzliche Bestimmungen für stille Reserven
Steuerrecht und Handelsrecht haben hierzulande eine unterschiedliche Sichtweise auf das Thema stille Reserven. Im Handelsrecht ist es erlaubt, das bereits erläuterte Niederstwertprinzip anzuwenden und so stille Rücklagen zu bilden. Zur Erinnerung: Vermögenswerte dürfen höchstens mit dem Anschaffungswert in der Bilanz auftauchen.
Das Steuerrecht hingegen verlangt, Vermögenswerte mit dem tatsächlichen Wert in den Büchern anzugeben. Hier gilt der Grundsatz der Bilanzwahrheit. Das HGB versteht unter der Bilanzwahrheit, dass keine falschen Schätzungen erlaubt sind.
Verstoßen Unternehmen bewusst gegen diese Prinzipien, kann das strafrechtliche und zivilrechtliche Folgen haben.
Was sind die Konsequenzen von stillen Reserven?
Die stillen Reserven verschleiern in der Bilanz eines Unternehmens bestimmte Vermögenswerte. In bestimmten Fällen ergeben sich die stillen Reserven durch die Gesetzgebung. In anderen Fällen hat Ihr Unternehmen durch die Schätzung bestimmter Vermögenswerte gewisse Spielräume.
Die Konsequenz ist in allen Fällen dieselbe: Vermögenswerte tauchen in der Bilanz verfälscht auf, da eine Unterbewertung oder eine Überbewertung erfolgen kann.
Unterbewertungen und Überbewertungen haben eine direkte Auswirkung auf den Gewinn, der dann geringer oder höher ausfällt. Fällt der Gewinn geringer aus, kann das für Unternehmen auch durchaus positive Auswirkungen haben, da somit durch die stillen Reserven weniger Steuern anfallen.
Wichtig ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass der Gewinn in unserem Beispiel allerdings nur hinausgeschoben beziehungsweise verschleiert wird. Zu einem Zeitpunkt X, auf den das Unternehmen zusteuert, fällt der Gewinn und damit auch die Steuern doch an.
Wie lassen sich stille Reserven berechnen und auflösen?
Unternehmen lösen stille Reserven auf, indem sie Vermögenswerte in der Bilanz sowohl in den Aktiva als auch in den Passiva korrigieren. Eine andere Möglichkeit zum Auflösen der Rücklagen stellt der Verkauf der Vermögenswerte dar.
Kommen wir auf unser Beispiel mit dem Grundstück zurück. Der Anschaffungswert lag bei 80.000 Euro. Dieser Wert taucht auch in der Bilanz auf, obwohl der Marktpreis zwischenzeitlich bei 150.000 Euro liegt. Die stille Reserve von 70.000 Euro ist in der Bilanz nicht ersichtlich. Nun verkauft das Unternehmen das Grundstück zum Marktpreis von 150.000 Euro. Den Gewinn von 70.000 Euro bilanziert das Unternehmen als außerordentlichen Gewinn. Der Erlös erscheint auch in der Bilanz.
Dieses Beispiel verdeutlicht, dass Gewinne nur verschleiert werden, aber keineswegs unter den Tisch fallen. Da dem Unternehmen durch den Verkauf liquide Mittel zufließen und das Unternehmen hiermit einen Gewinn erwirtschaftet, sind jetzt auch Steuern dafür fällig.
Gezielter Einsatz von stillen Reserven zahlt sich aus
Stille Reserven fallen in der Bilanz der meisten Unternehmen an. Daher müssen sich Betriebe zwangsläufig irgendwann mit diesem Thema befassen. Einerseits, weil ein willkürlicher Umgang mit stillen Reserven negative Konsequenzen haben kann.
Andererseits sollten Unternehmen gezielt die Möglichkeiten nutzen, die diese stillen Rücklagen bieten. Zum richtigen Zeitpunkt und strategisch klug eingesetzt, bringen die stillen Reserven einige unbestreitbare Vorteile mit sich.
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