Präsentismus: Warum arbeiten wir trotz Krankheit?

Leitfaden Work-Life-Balance
Katrin Barysch
Katrin Barysch

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Die Arbeitswelt verändert sich rasant und die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verwischen immer mehr. Die Folge ist Präsentismus, ein Phänomen, das vor allem im Homeoffice stark zugenommen hat. Aber warum arbeiten Menschen trotz Krankheit, was hat das zur Folge und welche Maßnahmen helfen gegen Präsentismus?

Frau sitzt krank am Arbeitsplatz aufgrund von Präsentismus

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Ursprünglich wurde der Begriff Präsentismus 1955 vom Arbeitswissenschaftler Auren Uris eingeführt, um die Anwesenheit der Arbeitnehmenden am Arbeitsplatz zu verbessern. Heute wird mit Präsentismus das Arbeiten trotz Krankheit verbunden.

Das Gegenteil von Präsentismus ist Absentismus, bei dem Betroffene nicht zur Arbeit erscheinen, obwohl sie gesund sind oder es keine Verhinderungsgründe gibt.

Einige Krankheitsbilder führen häufiger zu Präsentismus als andere, darunter:

  • Psychische Erkrankungen wie Burnout und Depressionen
  • Kopfschmerzen oder Migräne
  • Menstruationsbeschwerden
  • Magenerkrankungen
  • Erkältung, Schnupfen und Grippe

Welche Folgen hat Präsentismus?

Mit einer laufenden Nase im Büro zu erscheinen, muss nicht zwingend dramatische Folgen haben. Dennoch wirkt sich Präsentismus negativ auf das Unternehmen und die Mitarbeitenden aus.

1. Wirtschaftliche Verluste durch niedrige Produktivität

Die Arbeitsleistung sinkt, wenn Menschen krank sind. Dabei wirkt sich der Präsentismus nicht nur auf die Aufgabenbereiche der betroffenen Person aus, sondern auch auf allgemeine Projekte. Verschiedene Studien, unter anderem eine Untersuchung in Japan, gehen sogar davon aus, dass Präsentismus für Unternehmen gravierendere wirtschaftliche Folgen hat als Absentismus. Interessanterweise steigen die Präsentismustage laut Statista, je niedriger die Unternehmensresilienz ist.

2. Gesundheitliche Folgeschäden und Arbeitsunfähigkeit

Wer sich bei Krankheit keine Zeit für die Genesung nimmt, läuft Gefahr, chronisch zu erkranken oder die Symptome zu verschleppen. Im schlimmsten Fall kann Präsentismus daher auch zu Arbeitsunfähigkeit führen. Gleichzeitig liegt es auf der Hand, dass auch die Kollegen und Kolleginnen angesteckt werden, was einer der Gründe dafür ist, dass Präsentismus wirtschaftlich belastender sein kann als Absentismus.

3. Höheres Risiko für Arbeitsunfälle

Ob psychisch oder physisch krank: Wer nicht fit ist, kann sich schlechter konzentrieren, wodurch die Wahrscheinlichkeit für Fehler zunimmt. In der Pflege ist Präsentismus laut einer Studie der AOK besonders verbreitet, aber auch die Folgen sind hier deutlich stärker zu spüren, da Hilfsbedürftige und Kranke oft unter einer fehlerhaften Arbeitsweise leiden.

4. Verlust des Arbeitsplatzes

Wird die erforderliche Leistung nicht mehr erbracht, sehen sich Arbeitgeber oft dazu gezwungen, das Arbeitsverhältnis zu kündigen. Doch auch eine chronische Erkrankung durch Präsentismus kann zur Folge haben, dass die Betroffenen ihren Arbeitsplatz verlieren oder nicht mehr in der Lage sind, der Arbeit in vollem Umfang nachzugehen.

Darum kommt es zu Präsentismus: drei Gründe

Zwar variieren je nach Branche, Anstellungsart und Verantwortlichkeit die Auslöser für Präsentismus. Die Gründe für das Arbeiten trotz Krankheit lassen sich dennoch auf drei Faktoren herunterbrechen:

Grund 1: Arbeitsbezogen

Laut einer Studie der Techniker Krankenkasse ist einer der Hauptbeweggründe, krank zur Arbeit zu erscheinen, eine nicht vorhandene Vertretung. Die Folge ist, dass Aufgaben aufgeschoben werden müssen und der eigene Workload wächst. Vor allem Personen in Führungspositionen neigen zu Präsentismus, wenn sie das Gefühl haben, der Arbeitsmenge sonst nicht gewachsen zu sein.

Aber auch Schuldgefühle gegenüber Kolleginnen und Kollegen führen dazu, dass auf eine Krankmeldung verzichtet wird.

Grund 2: Personenbezogen

Wie die Präsentismusgründe der Studie beweisen, ist Zufriedenheit am Arbeitsplatz einer der häufigsten Auslöser für Präsentismus. Die alleinige Tatsache, dass die Arbeit Spaß macht und eine Bindung zum Unternehmen besteht, kann Präsentismus befeuern.

Es kann jedoch auch passieren, dass Menschen ihre Erkrankung falsch einschätzen und daher zur Arbeit erscheinen, obwohl sie ansteckend oder weniger leistungsfähig sind.

Grund 3: Unternehmensbezogen

Personen, die Angst um ihren Arbeitsplatz haben, neigen eher zu Präsentismus. Gleichermaßen sorgt aber auch eine strikte Anwesenheitspolititk dafür, dass Mitarbeitende trotz Krankheit zur Arbeit gehen. Und auch wer bereits an einem anderen Arbeitsplatz negative Erfahrung mit Krankschreibung und Abwesenheit machen musste, tendiert eher zu Präsentismus, anstatt sich erneut einer möglichen Blöße hinzugeben.

Was kann man gegen Präsentismus machen?

Gegen Präsentismus können vor allem Unternehmen und Vorgesetzte etwas machen, da sie sich in der Position befinden, Veränderungen herbeizuführen. Wir haben für Sie die effektivsten Maßnahmen gegen Präsentismus gefunden:

1. Kommunizieren Sie Erwartungen und Grenzen

Geben Sie Ihren Angestellten klare Richtlinien zur Hand, damit sie wissen, welches Verhalten bei Krankheit und Abwesenheit erwünscht ist. Machen Sie deutlich, dass persönliche Schuldgefühle gegenüber dem Unternehmen oder der Kollegenschaft fehl am Platz sind und gehen Sie auf die negativen Konsequenzen von Präsentismus ein.

2. Ermöglichen Sie Flexibilität und Erholung

Kaum jemand arbeitet an einem Achtstundentag tatsächlich die gesamte Zeit konsequent und produktiv. Zum einen kommen im Büroalltag spontane Gespräche und Aufgaben in die Quere. Zum anderen lässt die Konzentration im Laufe des Tages nach. Geben Sie Ihren Mitarbeitenden daher die Möglichkeit, sich regelmäßig zu erholen und auch Tage im Homeoffice zu nutzen, um Ruhe und Regeneration zu finden.

3. Stellen Sie psychologische Unterstützung zur Verfügung

Die Gründe für Präsentismus sind vielfältig, aber psychische Probleme und eine negative Selbstwahrnehmung sind nicht selten ausschlaggebend. Wer sich beispielsweise unnötig Druck macht oder fälschlicherweise das Gefühl hat, nicht genug zu leisten, neigt dazu, sich im Krankheitsfall erst recht beweisen zu wollen.

Bieten Sie daher einen Zugang zu Beratung und anderen psychologischen Diensten oder geben Sie Workshops, um das allgemeine Wohlbefinden der Mitarbeitenden zu verbessern.

4. Sorgen Sie für regelmäßige Pausen

Obwohl Pausenzeiten gesetzlich geregelt sind, sehen sich viele Angestellte nicht in der Lage, diese in vollem Maße in Anspruch nehmen zu können. Unzureichende Pausen befeuern Erschöpfungssymptome, Stressoren und Überarbeitung, während Faktoren wie eine fehlende Vertretung oder zu hohe Arbeitslast wiederum das Präsentismus-Verhalten begünstigen.

5. Fördern Sie eine offene Unternehmenskultur

Sprechen Sie mit Ihren Angestellten offen über Präsentismus und schaffen Sie so ein positives Arbeitsumfeld, das sich proaktiv um die Gesundheit der Mitarbeitenden kümmert. Indem Sie Ihre Belegschaft über die Folgen und Gründe von Präsentismus aufklären, identifizieren diese ein solches Verhalten leichter bei sich und sprechen es offen an.

6. Schulen Sie Ihre Führungskräfte

Schulungen zu Themen wie Arbeitsrecht und Gesundheit am Arbeitsplatz helfen den Führungskräften in Ihrem Unternehmen beim Erkennen der Anzeichen für Präsentismus. Stellen Sie sicher, dass leitende Angestellte die Arbeitslast der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Blick und Strategien zur Hand haben, um diese bei Bedarf neu zu verteilen.

7. Normalisieren Sie Arbeitsunfähigkeit

Krankheiten lassen sich nicht vermeiden, weder während einer Grippesaison, noch im Hochsommer. Laut der BAuA (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin) sorgte die Arbeitsunfähigkeit im Jahr 2021 für einen Ausfall der Bruttowertschöpfung von schätzungsweise 153 Milliarden Euro.

Nehmen Sie Ihren Mitarbeitenden also unbesorgt die Hemmung, sich bei Krankheit arbeitsunfähig zu melden, und bringen Sie gleichermaßen Verständnis auf, wenn sich eine oder einer der Angestellten krankmeldet.

Fazit: Präventiv gegen Präsentismus

Präsentismus, also das Arbeiten trotz Krankheit, ist keinesfalls ein neues Phänomen oder eine Folgeerscheinung der Pandemie. 1955 erstmals begrifflich geprägt, ist Präsentismus seither Mittelpunkt zahlreicher Studien. 2022 ist einer der häufigsten Gründe für Präsentismus eine fehlende Vertretung. Die Angst vor beruflichen Nachteilen hatte es erst gar nicht in die Top-Fünf geschafft.

Unternehmen sollten ihre Mitarbeitenden daher unbedingt für Präsentismus sensibilisieren und klare Handlungsempfehlungen für Krankheitsfälle anbieten, sodass ein stetiger Leistungsdruck ausbleibt.

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Titelbild: Westend61 / iStock / Getty Images Plus

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