Wenn Sie im Vertrieb arbeiten, kennen Sie diese Situation sicherlich: Sie sitzen in einem Verkaufsgespräch, doch es geht schleppend voran. Ihr Gesprächspartner wirkt abweisend und geht nicht auf Ihre Angebote ein, egal wie sehr Sie ihm entgegenkommen. Zwischen Ihnen beiden stimmt die Chemie nicht. Trotzdem sollten Sie nicht lockerlassen und einmal den Chamäleon-Effekt ausprobieren.
Was ist der Chamäleon-Effekt?
Der Chamäleon-Effekt ist ein Verhalten, das im Tierreich als Mimikry bekannt ist: Ein Tier ahmt ein anderes nach. Beim Chamäleon-Effekt imitiert ein Mensch einen anderen, indem er unterbewusst seine Bewegungen und seine Mimik nachahmt.
Wo und wie taucht der Chamäleon-Effekt auf?
Auch das kennen Sie sicherlich: Sie sitzen mit einem Freund zusammen und unterhalten sich. Sie wippen leicht mit einem Bein, kurz darauf wippt auch Ihr Freund mit einem Bein. Sie lehnen sich entspannt zurück und verschränken die Arme, was Ihr Freund ebenfalls bald nachmacht.
Das kann so weit gehen, dass ein bestimmter Gesprächspartner mit einer zeitlichen Verzögerung Ihre Verhaltensweisen so sehr imitiert, dass er in seiner Körpersprache (Haltung, Bewegung und Mimik) bis zu einem gewissen Grad wie eine Kopie von Ihnen wirkt. Durch die Imitationen hat er, sinnbildlich gesprochen, wie ein Chamäleon seine Farbe an Ihre angepasst.
Chamäleon-Effekt in der Psychologie: Wie kommt es zu diesem Verhalten?
Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen zu der besonderen Form der Mimikry. Das bekannteste Werk stammt von Tanya L. Chartrand und John A. Bargh der New York University. Im „Journal of Personality and Social Psychology“ veröffentlichten sie einen Artikel mit dem Titel „The Chameleon Effect: The Perception-Behavior Link and Social Interaction“.
Darin beschreiben die beiden Professoren für Psychologie unter anderem ihre Versuche. Beispielsweise ahmten 50 % der Probanden das Übereinanderschlagen der Beine nach, Berührungen im Gesicht hingegen wurden seltener imitiert.
Den Grund für diese Verhaltensweisen sieht die Wissenschaft im menschlichen Bedürfnis nach Symmetrie und Harmonie. Das gilt besonders bei Menschen, die sich sympathisch sind. Das unterbewusste Imitieren des Gegenübers sorgt für eine bessere Beziehung. Die beiden „verstehen“ sich besser. Ein Phänomen, das auch bei Verliebten zu erkennen ist.
Dieses Verhalten steuern die Spiegelneuronen. Hierbei handelt es sich um spezielle Nervenzellen im Gehirn, die Giacomo Rizzolatti bei Makaken feststellte. Rizzolatti und sein Team fanden in den 1990er-Jahren heraus, dass die Affenart andere Artgenossen imitierte. Der Grund dafür läge in den neu gefundenen Spiegelneuronen. Wie es ihr prägnanter Name besagt, sorgen sie dafür, dass Primaten das Verhalten von anderen „spiegeln“.
Seitdem gab es viele Untersuchungen zu den Spiegelneuronen bei Menschenaffen und beim Menschen selbst. Einige gelten als umstritten. Zudem sollen besonders beim Menschen mehr als nur die Spiegelneuronen dafür sorgen, dass er das Verhalten von anderen Menschen nachahmt.
Nichtsdestotrotz ist der Chamäleon-Effekt nachweisbar. Und Sie können versuchen, gewisse Imitationen zu Ihrem Vorteil anzuwenden.
So könnten Sie den Chamäleon-Effekt in Verkaufsgesprächen nutzen
Die (mitunter unbewusste) Körpersprache ist bei Verhandlungen sehr wichtig. Daraus können Sie unter anderem ablesen, wie Ihr Gesprächspartner gelaunt ist. Verschränkt er ständig die Arme, blickt er selten in Ihre Augen und redet er laut, steht es schlecht um Ihren Erfolg.
Versuchen Sie nun, mit gewissen Handlungen die Situation zu entspannen. Zum Beispiel, indem Sie die Gestik und Mimik Ihres Verhandlungspartners imitieren und ebenfalls die Arme verschränken.
Ahmen Sie behutsam und subtil Ihren Gesprächspartner nach. So bauen Sie eine Bindung auf und entspannen die Situation. Mit der Zeit können Sie versuchen, die defensive oder negative Körpersprache des Gegenübers unterbewusst zu beeinflussen. Bauen Sie in Ihrer Gestik und Mimik offene, positiv wirkende Haltungen und Bewegungen ein. Mit diesen Handlungen könnte es Ihnen gelingen, den Verhandlungspartner auf Ihre Seite zu ziehen.
Diese subtile Beeinflussung funktioniert auch mit der Sprache. Redet Ihr potenzieller Kunde beispielsweise hektisch und laut, können Sie sukzessive mit einem beruhigenden, normalen Ton die Abneigung gegen Sie abbauen.
Wichtig: Psychologen empfehlen, den bewusst eingesetzten Chamäleon-Effekt mit Bedacht und langsam anzuwenden. Sie sollten auf keinen Fall den Eindruck erwecken, Sie würden Ihr Gegenüber stur imitieren. Das hätte den gegenteiligen Effekt: Ihr Gesprächspartner würde eine noch stärkere Mauer zwischen Ihnen aufbauen – oder das Gespräch sofort verärgert beenden.
Kein Allheilmittel, aber einen Versuch wert
Den Chamäleon-Effekt zu kennen und zu nutzen, kann Ihnen einen kleinen Vorteil in Verkaufsgesprächen bringen. Setzen Sie die Kraft der Spiegelneuronen mit wohlbedachten Handlungen gekonnt ein, bauen Sie eine Bindung zu Ihrem möglichen Kunden auf. Wo Sympathie herrscht, entsteht eine Basis für gute Geschäfte.
Allerdings ist der Grat recht schmal. Wie schon beschrieben, kann Ihr Gegenüber die Imitationen entlarven und missverstehen. Zudem fanden Studien heraus, dass es unfreundliche Menschen nicht mögen, wenn man ihnen einen Spiegel vorhält – selbst wenn das unbewusst geschieht. In diesem Fall trifft der „Unsympath“ auf einen anderen „Unsympathen“. Das sorgt für noch mehr Ablehnung.
Sie merken: Kommunikation ist und bleibt eine große Herausforderung. Eine, bei der selbst Forscher bis heute nicht exakt wissen, wie sie genau funktioniert.
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