Was haben die Kommunikation unter Menschen und Eisberge gemeinsam? Nicht viel, denken Sie jetzt wahrscheinlich. Aber wie auch der größte Teil eines Eisberges nicht zu sehen ist, findet auch bei Menschen ein großer Teil der Kommunikation unsichtbar und unbewusst statt. Das sogenannte Eisbergmodell befasst sich genau mit diesem Phänomen.
Was ist das Eisbergmodell?
Das Eisbergmodell (engl. Iceberg Model oder Iceberg Theory) ist eines der bekanntesten Kommunikationsmodelle. Das Modell basiert auf der Tatsache, dass bei einem Eisberg lediglich ein kleiner Teil, nämlich ca. 20 %, sichtbar ist. Die anderen 80 %, also der weitaus größere Teil des Eisberges, befinden sich dagegen unter der Wasseroberfläche und sind damit unsichtbar.
Genauso verhält es sich mit der menschlichen Kommunikation, bei der es einen sichtbaren Teil als auch einen unsichtbaren Teil gibt.
Das Eisbergmodell soll veranschaulichen, wie Menschen miteinander kommunizieren, was im zwischenmenschlichen Bereich tatsächlich gesagt und was unausgesprochen durch non-verbale Kommunikation transportiert wird.
Eisbergmodell: Freud als Wegbereiter
Das Eisbergmodell wird häufig mit dem Psychoanalytiker Sigmund Freud in Verbindung gebracht. Auch wenn Freud die Metapher des Eisbergs in seinem Werk nie verwendet hat, beruht das Eisbergmodell auf Freuds Persönlichkeitstheorie.
Laut Freud wird das Handeln eines Menschen in täglichen Situationen zum großen Teil vom Unterbewusstsein (Es und Über-Ich) bestimmt und nur zu einem kleinen Teil vom Bewusstsein (Ich). Freud teilte die menschliche Psyche in seinem Strukturmodell in drei Instanzen:
- Es: Lustprinzip (Triebe, Wünsche und Bedürfnisse)
- Über-Ich: Moralitätsprinzip (Werte, Normen und moralische Prinzipien)
- Ich: Realitätsprinzip (Das Ich sorgt beim tatsächlichen Handeln einer Person für einen Ausgleich zwischen den anderen beiden Instanzen)
Die Übertragung von Freuds Modells auf das menschliche Kommunikationsverhalten kann den Autoren Ruch und Zimbardo sowie dem Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick zugeschrieben werden. Dabei stehen im Eisbergmodell das Es und Über-Ich für die Beziehungsebene und das Ich für die Sachebene.
Das Eisbergmodell wurde über die Jahre weiterentwickelt bzw. erweitert und ist Grundlage anderer Kommunikationsmodelle, wie beispielsweise vom Vier-Ohren-Modell nach Friedemann Schulz von Thun. Neben der Sach- und Beziehungsebene gibt es beim Vier-Ohren-Modell noch die Selbstoffenbarung und den Appell.
Sachebene und Beziehungsebene: Was sagt das Eisbergmodell aus?
Die beiden Ebenen der Kommunikation heißen Sachebene und Beziehungsebene (beziehungsweise psychosoziale Ebene):
- Sachebene: Bei der Sachebene handelt es sich um die sichtbare und bewusste Ebene der Kommunikation. Hier werden Fakten, Daten und Sachinformationen, aber auch Gedanken und Wünsche verbal kommuniziert und an den Gesprächspartner bzw. die Gesprächspartnerin weitergegeben.
- Beziehungsebene: Die psychosoziale Ebene verkörpert im Modell die unsichtbare und unbewusste Ebene. Dabei wird die Beziehungsebene nochmal unterteilt in die „vorbewusste“ Ebene (Ängste, Gefühle und Erfahrungen) und unbewusste Ebene (Triebe, Instinkte und Traumata). Auf der Beziehungsebene werden sowohl Emotionen, Stimmungen und Wertevorstellungen non-verbal durch Körpersprache übertragen als auch Motive und Absichten. Auch die Vorgeschichte zwischen den Gesprächsbeteiligten spielt hier eine Rolle.
Das bedeutet: Nur der kleinste Teil unserer Kommunikation findet tatsächlich verbal statt. Der weitaus größere Teil wird hingegen nicht ausgesprochen, sondern auf der Beziehungsebene übermittelt.
Diese versteckten Informationen sind einerseits prägende Faktoren aus der Vergangenheit, die ein Gespräch beeinflussen können und auf der anderen Seite Mimik, Tonfall oder Gestik, die die Kommunikation nachhaltig prägen und einer Aussage eine neue Bedeutung geben können. Deshalb trägt die Körperspache entscheidend dazu bei, dass eine Nachricht auch richtig beim Gesprächspartner bzw. bei der Gesprächspartnerin ankommt.
Wie bereits erwähnt ist die Aufteilung zwischen sichtbaren Bereich und unsichtbaren Bereich 20 zu 80. Demnach wird häufig angenommen, dass das Eisbergmodell auf dem Pareto-Prinzip (80-20-Regel) basiert. Es handelt sich bei der Aufteilung jedoch nur um einen ungefähren Richtwert und keine feststehenden Grenzen. Grundsätzlich soll durch diese Aufteilung verdeutlicht werden, dass die Beziehungsebene einen viel größeren Teil der Kommunikation ausmacht als die Sachebene.
Wie lässt sich das Eisbergmodell im alltäglichen Leben anwenden?
Das Eisbergmodell kommt in allen Bereichen des privaten und beruflichen Lebens zum Tragen – schließlich findet Kommunikation ständig und überall statt. Die folgende Auswahl an Beispielen soll die Funktionsweise des Eisbergmodells in verschiedenen Bereichen veranschaulichen:
Unternehmen
Sichtbare Elemente auf der Sachebene sind hier das Firmengebäude, die Büros sowie das Auftreten und Verhalten der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.
Auf der Beziehungsebene sind dagegen Leitlinien zu verorten, wie zum Beispiel:
- Wie gehen die Angestellten miteinander um?
- Auf welcher Ebene spielen sich Probleme zwischen Teammitgliedern ab?
- Wie erfolgt die Betreuung von Kunden und Kundinnen?
Zudem relevant: Wie verhält sich das Unternehmen selbst gegenüber den Mitarbeitenden, wenn es um sichere Arbeitsplätze oder Fortbildungen geht?
Führungskräfte und Mitarbeitende
Im unternehmerischen Alltag kommt es sehr oft zum Austausch zwischen Vorgesetzten und Angestellten. Bittet beispielsweise der Chef im Rahmen eines Projekts einen Mitarbeitenden darum, einen Vortrag zu halten, ist die Botschaft auf der Sachebene ziemlich klar: „Sie halten einen Vortrag.“
Auf der Beziehungsebene sieht das anders aus: Je nach der aktuellen Belastung, Situation oder Tonlage kann der Mitarbeitende die Botschaft unterschiedlich auffassen. Einerseits könnte der Mitarbeitende den Eindruck bekommen, dass das Unternehmen ihn wertschätzt und der Vortrag etwas Positives darstellt. Andererseits kann der Verdacht erweckt werden, dass der Chef den Vortrag nicht selbst halten, sondern nur an jemand anderen delegieren möchte.
Vertriebsmitarbeitende und Kundschaft
Elementar ist das Eisbergmodell auch für die Beziehung zwischen einem Unternehmen, quasi den Mitarbeitenden im Vertrieb, und der Kundschaft.
Deshalb gilt es hier, die Kundschaft auf beiden Ebenen von einem Produkt oder einer Dienstleistung zu überzeugen. Selbstverständlich ist die Sachebene immer (mit-)entscheidend. Schließlich will man der Kundschaft wichtige Daten und Fakten näher bringen – und zwar möglichst präzise.
Aber: Wer jemanden für etwas begeistern möchte, der muss ihn auch emotional, also auf der Beziehungsebene, packen. Verkäufer und Verkäuferinnen sollten somit immer Emotionen und Bedürfnisse der Kundschaft im Blick haben.
Am einfachsten gelingt das, indem vier Grundbedürfnisse befriedigt werden:
- Kontakt
- Selbstbestimmung
- Anerkennung
- Sicherheit
Erkennt der Vertriebsmitarbeiter bzw. die Vertriebsmitarbeiterin, welches dieser Bedürfnisse für einen Kunden bzw. eine Kundin am wichtigsten ist, gelingt es, das Gespräch auf diesen Bereich zu beziehen. Dann stellt sich der Erfolg am ehesten ein.
Privater Bereich
Im privaten Umfeld spielt das Eisbergmodell ebenfalls eine große Rolle. Ein klassisches Beispiel ist hierbei ein Paar, das zusammenlebt und eine unterschiedliche Meinung zu einem bestimmten Thema hat.
Die Diskussionen darüber, also was stimmt und was nicht, finden auf der Sachebene statt. Die persönlichen Gründe für die jeweilige Meinung hingegen haben mit der Beziehungsebene zu tun, also mit Gefühlen und Erfahrungen.
Herausforderung beim Eisbergmodell
Die größte und elementarste Herausforderung des Eisbergmodells ist natürlich das Zusammenspiel der zwei Ebenen. Nur wenn es gelingt, beide Ebenen miteinander in Einklang zu bringen, findet eine reibungslose zwischenmenschliche Kommunikation statt.
Das heißt im Umkehrschluss: Sobald Störungen aus dem Bereich der Beziehungsebene auftreten, erschweren diese eine konstruktive Kommunikation – und damit auf dem beruflichen Sektor ein effizientes Arbeiten – oder können diese sogar verhindern.
Kurzum: Gibt es Konflikte auf der Beziehungsebene, hat das nachhaltigen und großen Einfluss auf die Sachebene.
Missverständnisse auf beiden Ebenen des Eisbergmodells vermeiden
Auch wenn Konflikte und Missverständnisse im Austausch mit anderen Menschen nie angenehm sind, sind sie mitunter aber normal. Für eine erfolgreiche Kommunikation ist es daher entscheidend, dass Sie Konflikte und Missverständnisse vermeiden. Einfacher ist das sicherlich auf der Sachebene. Hier kann es helfen, aufmerksam zuzuhören, eindeutig zu formulieren, nachzufragen oder Feedback einzuholen, um Fehlinterpretationen vorzubeugen.
Komplexer sieht das auf der Beziehungsebene aus. Auf dieser Ebene geht es darum, Verständnis zu entwickeln, unterschiedliche Ansichten als Chance und Bereicherung zu begreifen und zu verinnerlichen, dass Offenheit immer ein möglicher Weg zu einem Konsens ist.
Titelbild: Štefan Štefančík / Unsplash